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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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ungewöhnliche Tag scharfer Kontraste hatte gräßliche Eindrücke und Erfahrungen für mich bereitgehalten, mir aber zugleich ein geradezu schwindelerregendes Glück beschert. Die bösartigen Trolle in Yontsdown. Und zur Kompensation: Rya Raines. Die graue Trostlosigkeit jener unglückseligen Stadt. Und zum Ausgleich diese herrliche Leinwand mit Mond und Sternen, unter der ich jetzt lag. Die Visionen von Feuer und Tod bei der Grundschule. Und andererseits: die Erinnerung an Ryas in Mondlicht getauchten nackten Körper. Ohne Rya wäre es ein Tag unvorstellbarer Verzweiflung gewesen. Aber dort, am Seeufer, kam sie mir wie die Verkörperung von allem vor, was bei den Plänen des göttlichen Architekten für das Universum geklappt hatte, und wenn ich Gott in diesem Augenblick hätte ausfindig machen können, hätte ich beharrlich am Saum Seines Gewandes gezerrt, Ihn ans Schienbein getreten und so lange belästigt, bis Er eingewilligt hätte, jenen großen Teil Seiner Schöpfung, den Er beim erstenmal verhunzt hatte, neu zu erschaffen und sich bei diesem gewagten Unternehmen Ryas zu bedienen — als ein leuchtendes Beispiel dafür, was möglich war, wenn Er sich dem Projekt nur mit ganzer Kraft und voller Konzentration widmete.
    Joel Tuck irrte sich. Ich war nicht in sie verknallt.
    Ich liebte sie.
    Ich liebte sie, und obwohl ich es damals noch nicht wußte, rückte die Zeit rasch näher, da ich wegen meiner Liebe zu ihr Gottes Beistand verzweifelt nötig haben würde, um zu überleben.
    Nach einer Weile ließ sie meine Hand los, setzte sich auf, schlang ihre Arme um die hochgezogenen Knie und starrte auf den dunklen See hinaus. Auch ich setzte mich auf, und noch immer hatten wir nicht das Bedürfnis, gesprächiger als die Fische im See zu sein.
    Ein leises Platschen.
    Rascheln von Schilf am Wasserrand.
    Zirpende Grillen.
    Klagende Lockrufe einsamer Frösche.
    Ich bemerkte, daß Rya wieder weinte.
    Mein Finger zerdrückte eine Träne, als ich ihr zart über die Wange strich.
    »Was ist?« fragte ich.
    Sie schwieg.
    »Sag es mir«, bat ich.
    »Nicht.«
    »Was?«
    »Nicht sprechen.«
    Ich schwieg.
    Sie schwieg.
    Schließlich schwiegen auch die Frösche.
    Nach längerer Zeit murmelte sie: »Das Wasser sieht einladend aus.«
    »Nur naß, weiter nichts.«
    »Verlockend.«
    »Wahrscheinlich wimmelt es von Algen, und der Grund ist bestimmt schlammig.«
    »In Gibtown, in Florida, gehe ich im Winter oft lange am Strand spazieren, und manchmal stelle ich mir vor, wie schön es wäre, aufs Meer hinauszuschwimmen, weiter und immer weiter, und nie zurückzukommen.«
    Ich fragte mich, ob ihr bestürzender Lebensüberdruß und ihre tiefe Schwermut damit zusammenhingen, daß sie keine Kinder bekommen konnte. Aber Unfruchtbarkeit schien mir kein ausreichender Grund für eine derartige Verzagtheit zu sein. Sie hatte sich soeben angehört wie eine Frau, deren Herz von einem jede Vorstellungskraft übersteigenden, ätzenden Schmerz zerfressen war.
    Mir war unbegreiflich, wie sie so schnell von der Ekstase in die Verzweiflung stürzen konnte. Erst vor wenigen Minuten hatte sie mir gesagt, daß unsere Vereinigung absolut vollkommen gewesen war. Und jetzt ließ sie sich fast freudig in eine hoffnungslose, verzehrende Melancholie zurückfallen, die mich wahnsinnig ängstigte.
    »Wäre es nicht schön«, fuhr sie versonnen fort, »hinauszuschwimmen, soweit man kann, und dann immer noch weiterzuschwimmen, bis Arme und Beine zu Blei werden und...«
    »Nein«, fiel ich ihr scharf ins Wort, während ich ihr Gesicht mit beiden Händen umschloß und sie zwang, mich anzusehen. »Nein, es wäre nicht schön. Es wäre alles andere als schön. Was redest du da? Was ist los mit dir? Warum bist du so depressiv?«
    Sie gab keine Antwort, und in ihren Augen vermochte ich nicht einmal mit Hilfe meines sechsten Sinns zu lesen. Ich sah darin nur eine Einsamkeit, gegen die ich nicht anzukämpfen vermochte. Das Gefühl meiner völligen Ohnmacht erfüllte mich mit solcher Angst, daß nun auch mir Tränen in die Augen schossen.
    Verzweifelt drückte ich sie ins Gras, küßte und streichelte sie, begann ein neues Liebesspiel. Anfangs versuchte sie mich abzuwehren, doch schon bald reagierte sie auf meine Liebkosungen, und kurz darauf waren wir wieder vereint, und trotz ihres Selbstmordgeredes und trotz der Tatsache, daß sie mir die Ursache ihrer Verzweiflung nicht mitteilen wollte, war es sogar noch vollkommener als beim erstenmal. Wenn Leidenschaft die einzige

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