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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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An einem Ort wie diesem, der soviel Böses ausstrahlte, durfte ich keine Ohnmacht riskieren. Wenn ich in Shockville das Bewußtsein verlöre, würde ich an Ort und Stelle umgebracht werden, dessen war ich mir ganz sicher.
    Ich kniete auf dem Boden vor der Plattform nieder.
    Nichts wie weg hier! Flieh, so schnell du kannst! warnte mich eine innere Stimme.
    Ich hielt das Messer mit der rechten Hand so fest umklammert, daß meine Knöchel weiß hervortraten. Mit der linken Hand fegte ich von einer etwa quadratmetergroßen Fläche die Sägespäne beiseite. Die darunter zum Vorschein kommende Erde war festgetreten, aber nicht hart. Ich konnte mit bloßen Händen mühelos darin wühlen. Die ersten Zentimeter waren klumpig, doch etwas tiefer stieß ich auf lockeren Boden. Normalerweise hätte es genau umgekehrt sein müssen. Jemand mußte hier in den letzten Tagen ein Loch gegraben haben.
    Nein. Kein Loch. Nicht einfach ein Loch. Ein Grab.
    Aber wessen Grab war dies? Wessen Leiche lag unter mir?
    Ich wollte es eigentlich gar nicht wissen.
    Aber ich mußte es wissen.
    Ich scharrte weiterhin Erde beiseite.
    Die Todesimpressionen wurden noch stärker.
    Und auch das Gefühl, daß dies mein Grab werden könnte, wurde immer stärker, obwohl das ja eigentlich unmöglich war, nachdem offenbar schon eine andere Leiche hier verscharrt war. Vielleicht interpretierte ich die übersinnliche Ausstrahlung falsch. Das war nicht ausgeschlossen, denn manchmal wurde ich aus den Vibrationen, die ich mit meinem sechsten Sinn auffing, nicht so recht schlau.
    Ich legte mein Messer beiseite, um die Erde mit beiden Händen wegschaufeln zu können, und in wenigen Minuten hatte ich ein Loch von etwa einem Meter Länge, 60 cm Breite und 18 bis 20 cm Tiefe ausgebuddelt. Natürlich hätte ich auch nach einer Schaufel suchen können, aber die Erde war ganz locker, und außerdem konnte ich einfach nicht aufhören; ich mußte pausenlos weitergraben, angetrieben von der absurden und morbiden Gewißheit, daß ich auf meine eigene Leiche stoßen würde, daß ich die Erde von meinem eigenen Gesicht wegschieben würde. Die Bilder, mit denen ich nach wie vor überflutet wurde, versetzten mich in solchen Schrecken, daß ich jetzt wie ein Wahnsinniger in der Erde wühlte, keuchend, mit schmerzenden Lungen, in kalten Schweiß gebadet, grunzend wie ein Tier. Ich grub tiefer, und ein ekelerregender Todesgestank ließ mich die Nase rümpfen, obwohl ihn außer mir niemand wahrnehmen konnte — tiefer —, denn im Zelt roch es kein bißchen nach Verwesung, nur in meinen Visionen. Tiefer. Die Leiche mußte noch ganz frisch sein, sich erst im allerersten Stadium der Zersetzung befinden. Tiefer. Meine Hände waren schmutzig, meine Fingernägel schwarz, als ich immer hektischer buddelte. Ein losgelöster Teil von mir betrachtete von oben das wilde Tier, in das ich mich verwandelt hatte, und fragte sich verwundert, ob ich verrückt geworden war.
    Eine Hand.
    Weiß.
    Leicht bläulich.
    Sie lag entspannt vor mir, so als wäre die Erde um sie herum eine Sterbedecke, auf die man sie behutsam gelegt hatte. Verkrustetes Blut klebte an den Fingernägeln und Knöcheln.
    Die psychischen Todesbilder verblaßten nun, da ich mit dem Toten, von dem sie ausgegangen waren, direkten Kontakt hatte.
    Ich hatte bisher etwa 50 cm tief gegraben, und jetzt arbeitete ich behutsam weiter, bis ich auf die zweite Hand stieß, die halb auf der anderen lag. Dann legte ich die Handgelenke frei... und die Unterarme... bis ich bestätigt sah, daß der Verstorbene in der traditionellen Position zur letzten Ruhe gebettet worden war, nämlich mit auf der Brust gefalteten Armen. Dann begann ich keuchend und zähneklappernd etwas oberhalb der Hände zu graben.
    Eine Nase.
    Eine breite Stirn.
    Ein kalter Schauder überlief mich.
    Noch bevor ich das ganze Gesicht freigelegt hatte, wußte ich, daß es der Mann — der Troll — war, den ich in der vorletzten Nacht im Autoskooter umgebracht hatte. Seine Lider waren geschlossen und blaugrün verfärbt, so als hätte man der Leiche perverserweise Lidschatten aufgetragen. Seine Oberlippe war auf einer Seite geschürzt, und zwischen den gebleckten Zähnen klebte Erde.
    Aus den Augenwinkeln heraus sah ich in einem anderen Teil des Zeltes eine Bewegung.
    Ich warf erschrocken den Kopf herum, aber niemand war zu sehen. Trotzdem war ich überzeugt davon, daß sich irgendwo etwas bewegt hatte, und noch bevor ich aus dem Grab steigen konnte, um nachzuschauen, sah ich es

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