Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
Rettungsleine war, die ich ihr zuwerfen konnte, wenn nur Leidenschaft sie aus dem geistigen Treibsand zu befreien vermochte, der sie in die Tiefe zu ziehen drohte, dann war es wenigstens beruhigend zu wissen, daß meine Leidenschaft für sie eine Rettungsleine von unendlicher Länge darstellte.
    Erschöpft lagen wir ein Weilchen eng umschlungen da, und unser Schweigen hatte nichts Bedrückendes an sich. Schließlich zogen wir uns an und machten uns auf den Rückweg zum Jahrmarktsgelände.
    Ich frohlockte über den Anfang, den wir in dieser Nacht gemacht hatten, und ich war so hoffnungsfroh, wie ich es nicht einmal vor dem Tag, an dem ich zum erstenmal einen Troll gesehen hatte, gewesen war. Ich wollte jubeln, den Kopf zurückwerfen und dem Mond zulachen, aber ich tat nichts Derartiges, denn bei jedem Schritt auf dem Waldweg befürchtete ich, daß sie erneut in Verzweiflung geraten würde. Außerdem ängstigte mich noch immer jene Vision ihres blutigen Gesichts. Das war eine wilde Mixtur gegensätzlicher Gefühle, eine ziemlich schwer verdauliche Mixtur, speziell für einen siebzehnjährigen Jungen, der fern von zu Hause und von seiner Familie völlig getrennt war und ein verzweifeltes Bedürfnis nach Zuneigung, Stabilität und irgendeinem Ziel hatte. Zum Glück hielt Ryas gute Laune aber auf dem ganzen Weg bis zur Tür ihres Wohnwagens an, was in mir die leise Zuversicht weckte, daß es mir vielleicht doch gelingen würde, sie für immer von jenen düsteren Gedanken an ein selbstmörderisches Hinausschwimmen aufs Meer abzubringen.
    Und was die Vision betraf... nun, ich mußte ihr eben irgendwie helfen, die Gefahr zu meiden. Im Gegensatz zur Vergangenheit konnte die Zukunft manchmal verändert werden.
    Wir küßten uns vor ihrer Tür.
    »Ich fühle dich noch immer in mir, deinen heißen Samen, der in mir brennt. Ich werde ihn mit ins Bett nehmen, und er wird wie ein Lagerfeuer in der Nacht sein und Alpträume von mir fernhalten. Keine Friedhöfe, Slim. Nein, heute nacht keine Friedhöfe...«
    Sie ging hinein und schloß hinter sich die Tür.
     
    Dank der Trolle, die mich im Wachen zu ständiger Nervenanspannung zwangen und mich in Form von Alpträumen sogar bis in den Schlaf verfolgten, hatte ich mich an Schlaflosigkeit gewöhnt. Ich kam nun schon seit Jahren mit sehr wenig Schlaf aus — meistens mit einigen Stunden. Manchmal fand ich auch überhaupt keinen Schlaf, und allmählich hatte sich mein Organismus darauf eingestellt. In jener Nacht war ich wieder einmal hellwach, obwohl es inzwischen vier Uhr morgens war — doch ausnahmsweise war es nicht kaltes Entsetzen, sondern ein überwältigendes Glücksgefühl, das mich am Schlafen hinderte.
    Ich schlenderte zum Rummelplatz hinauf.
    Ich ging die Schaustellerstraße entlang, tief in Gedanken an Rya versunken, lebendige Bilder von Rya vor Augen. Ich war so von ihr erfüllt, daß ich keinen Raum für irgendwelche anderen Gedanken zu haben glaubte. Und doch stellte ich mit einemmal fest, daß mich fror, daß ich mit geballten Fäusten vor Joel Tucks Shockville stand und daß ich mit einer ganz bestimmten Absicht hergekommen war. Ich starrte Wyatts Werbeplakate an, die jetzt im schwachen Mondschein viel unheimlicher wirkten als bei hellem Tageslicht, denn die menschliche Fantasie vermag noch viel schlimmere Greuel heraufzubeschwören als Gottes Meißel. Während mein Bewußtsein sich ausschließlich mit Rya beschäftigt hatte, war ich von meinem Unterbewußtsein hergeführt worden, um jene ominöse Stelle in der zwölften Box zu untersuchen.
    Ich wollte nicht hineingehen.
    Ich wollte weggehen.
    Ich wollte wegrennen.
    Aber in diesem Zelt lag ein Schlüssel zu meiner Zukunft. Ich mußte wissen, welcher psychische Magnet mich am vergangenen Nachmittag dorthin gezogen hatte. Um meine Überlebenschancen zu vergrößern, mußte ich wissen, warum der Boden vor Joel Tucks Plattform Todesenergie ausstrahlte, warum ich das Gefühl gehabt hatte, daß dieser Fleck Erde mein eigenes Grab werden könnte.
    Ich sagte mir, daß es im Zelt nichts gab, wovor ich mich fürchten müßte. Die ›Menschenwunder‹ schliefen jetzt alle in ihren Wohnwagen. Doch selbst wenn sie noch im Zelt gewesen wären, hätten sie mir nichts zuleide getan. Und das Zelt selbst war weder gefährlich noch böse, nur eine riesige Leinwand, weiter nichts; und wenn ihm überhaupt etwas anhaftete, so schlimmstenfalls die Dummheit und Gedankenlosigkeit von zehntausend Besuchern.
    Trotzdem fürchtete ich mich.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher