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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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bald renne ich, stolpere, stürze, stehe auf und renne weiter den Hügel hinunter...« Sie holte zitternd Luft und stieß mit einem leisen angsterfüllten Seufzer hervor: »Und weißt du, was ich dann finde?«
    Ich glaubte es zu wissen. Während wir einen niedrigen Hügel hinaufgingen, sagte ich: »Du siehst einen Namen auf einem der Grabsteine, und es ist dein eigener Name.«
    Sie erschauderte. »Auf einem steht mein Name, das spüre ich in jedem Traum. Aber ich finde diesen Grabstein nie. Ich wünschte fast, ich fände ihn endlich. Ich glaube nämlich... wenn ich ihn fände... wenn ich mein eigenes Grab fände... dann würde ich aufhören, solche Dinge zu träumen...«
    Weil du nicht mehr aufwachen würdest, dachte ich. Weil du dann wirklich tot wärest. Zumindest sagt man, daß das passiert, wenn jemand nicht aufwacht, bevor er in einem Traum stirbt. Im Traum sterben — und tatsächlich nie mehr aufwachen...
    »Was ich finde, wenn ich den Hügel weit genug hinabgehe«, fuhr sie stockend fort, »ist die Straße, nach der ich gesucht habe... Aber es ist keine Straße mehr. Man hat dort Menschen begraben. Überall ragen Grabsteine aus dem Asphalt... so als hätte man nicht mehr gewußt, wohin mit all den vielen Leichen, und hätte sie einfach dort beerdigt, wo noch Platz war. Hunderte von Grabsteinen, jeweils vier nebeneinander, eine Reihe hinter der anderen, die ganze Straße entlang. Du verstehst... diese Straße ist kein Ausweg mehr. Sie ist zu einem Teil des Friedhofs geworden. Und unterhalb dieser ehemaligen Straße befinden sich weitere kahle Bäume und Grabmäler, so weit das Auge reicht. Und das Schlimmste ist... irgendwie weiß ich, daß all diese Menschen tot sind... weil...«
    »Weil?«
    »Weil ich sie umgebracht habe.«
    »Das klingt fast so, als hieltest du dich wirklich für schuldig«, stellte ich fest.
    »Das tu' ich auch.«
    »Aber es ist doch nur ein Traum.«
    »Wenn ich aufwache, verblassen die Bilder nicht... sie sind für einen Traum viel zu real... sie haben mehr Bedeutung als ein normaler Traum. Vielleicht... vielleicht sind sie ein Omen.«
    »Aber du bist doch keine Mörderin.«
    »Nein.«
    » Was k ö nnte es dann zu bedeuten haben? «
    » Das wei ß ich nicht. «
    »Es ist bestimmt nur ein blödsinniger Traum«, beharrte ich.
    »Nein.«
    »Dann sag mir, welchen Sinn er haben könnte.«
    »Ich weiß es nicht.«
    Ich hatte jedoch das beunruhigende Gefühl, daß sie genau wußte, was der Traum bedeutete, daß sie mich jetzt belog, so wie ich sie belogen hätte, wenn sie mich über die Trolle meiner Alpträume ausgefragt hätte.
    Wir waren den Hügel inzwischen hinabgegangen und hatten hinter einer Wegbiegung einen kleinen Eichen-Hain durchquert, der weniger Mondlicht durchließ als der übrige Wald. Insgesamt hatten wir vielleicht anderthalb Kilometer zurückgelegt, als der Weg am Ufer eines kleinen Waldsees endete.
    Das sanft abfallende Ufer war mit üppigem weichem Gras bewachsen. Der See sah in der Dunkelheit wie eine riesige Ölpfütze aus. Der Mond und vereinzelte frostweiße Sterne spiegelten sich in der leicht gekräuselten Wasseroberfläche. Das wispernde Gras war schwarz wie auf der Wiese hinter der Wohnwagenstadt, doch auch hier hatte jeder Halm eine dünne Silberkante.
    Rya setzte sich ins Gras, und ich nahm neben ihr Platz.
    Sie hüllte sich jetzt wieder in Schweigen.
    Ich respektierte ihren Wunsch nach Stille.
    Ich blickte zum nächtlichen Himmelsgewölbe empor, hörte in der Ferne Grillen zirpen, hörte leises Platschen, wenn Fische sich an der Wasseroberfläche Insekten schnappten, und verspürte ebenfalls kein Bedürfnis nach einer Unterhaltung. Mir genügte es, neben ihr zu sitzen, kaum eine Armeslänge von ihr entfernt.
    Dieser friedvolle Ort übte nach dem deprimierenden Tag eine befreiende Wirkung auf mich aus. Zuerst Yontsdown mit seinen Schornsteinen und mittelalterlich anmutenden Gebäuden, eine Stadt, über der das Unheil lastete wie schwarze Gewitterwolken. Dann der Rummelplatz mit seinem ohrenbetäubenden Lärm, dem verwirrenden Lichtermeer und den Menschenmassen. Es war herrlich erholsam, jetzt ein Weilchen an einem Ort zu sein, wo nichts auf die Existenz von Menschen hindeutete, abgesehen von dem Weg, dem wir jedoch den Rücken zukehrten und den ich deshalb leicht vergessen konnte. Im allgemeinen war ich ein geselliger Typ, aber hin und wieder hatte ich die Menschen fast genauso satt wie die Trolle. Und manchmal, wenn ich sah, wie grausam Männer und Frauen zu ihren

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