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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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sein würde.
    Soviel Verantwortung ruhte auf meinen Schultern.
    Diese Last war viel zu groß.
    Ich war erst siebzehn.
    Ich weinte lautlos um Oregon, um die Schwestern, die für mich verloren waren, um die Liebe meiner Mutter, die ich nun nie mehr erfahren würde.
    Ich sehnte mich nach Schlaf.
    Ich mußte mich unbedingt etwas erholen.
    Yontsdown stand in zwei Tagen als nächste Station auf dem Programm.

11 -  Kehraus
     
    Am Samstag morgen schreckte ich um halb neun — nach kaum mehr als zwei Stunden Schlaf — auf. Ich hatte einen Alptraum gehabt, der mit meinen sonstigen keinerlei Ähnlichkeit hatte.
    Ich war auf einem Friedhof gewesen, der sich einen Hügel hinabzog und kein Ende zu haben schien. Unzählige Reihen von Grabsteinen aller Größen und Formen, aus Marmor und Granit, manche davon beschädigt oder umgestürzt — unverkennbar der Friedhof aus Ryas Träumen. Rya war ebenfalls dort; sie rannte vor mir davon, durch den Schnee, unter den schwarzen Ästen kahler Bäume. Ich verfolgte sie, und das Eigenartige war, daß ich sie sowohl liebte als auch haßte, und ich wußte nicht genau, was ich tun würde, wenn ich sie finge. Ein Teil von mir wollte ihr Gesicht mit Küssen bedecken und mit ihr schlafen, aber ein anderer Teil von mir wollte sie würgen, bis ihr Gesicht sich schwarz verfärben, bis ihre herrlichen blauen Augen aus den Höhlen hervortreten und schließlich erlöschen würden. Diese wilde Wut, die sich gegen einen geliebten Menschen richtete, machte mir Angst und veranlaßte mich einige Male stehenzubleiben. Aber jedesmal, wenn ich das tat, blieb auch sie stehen, wartete weiter unten zwischen den Grabsteinen, so als wollte sie von mir gefangen werden. Ich versuchte sie zu warnen, daß dies kein Spiel war, daß etwas mit mir nicht stimmte, daß ich die Kontrolle über mich verlieren könnte, wenn ich sie einholte, aber ich brachte kein Wort über die Lippen. Jedesmal, wenn ich stehenblieb, winkte sie mir auffordernd, und dann nahm ich die Verfolgung wieder auf. Und dann begriff ich, was mit mir nicht stimmte. In mir mußte ein Troll stecken! Eines dieser dämonischen Wesen hatte sich in mir eingenistet, und die Kontrolle an sich gerissen, hatte sich meines Geistes und meiner Seele bemächtigt und bediente sich meines Körpers, der jetzt sein Körper war; aber Rya wußte nichts davon, sie sah noch immer nur Slim, ihren liebenden Slim MacKenzie; sie begriff nicht, in welch schrecklicher Gefahr sie schwebte, sie begriff nicht, daß ihr Slim tot und verschwunden war, daß sein Körper jetzt einer nichtmenschlichen Kreatur als Wohnstatt diente, daß diese Kreatur ihr nach dem Leben trachtete. Der Troll holte jetzt auf, und sie drehte sich lachend nach ihm — nach mir — um, sie sah so bezaubernd aus, bezaubernd und zum Tode verurteilt, und jetzt war er — ich — nur noch drei Meter von ihr entfernt, nur noch zwei, nur noch einen... und dann packte ich sie, wirbelte sie herum — und als ich aufwachte, spürte ich noch immer, wie ich mit eisernen Händen ihre Kehle zusammenpreßte.
    Ich setzte mich im Bett auf, hörte mich keuchen, spürte mein rasendes Herzklopfen und versuchte den Alptraum zu vergessen. Ich blinzelte im Morgenlicht und redete mir verzweifelt ein, daß es nur ein Traum gewesen war, keine Vision.
    Keine Vision.
    Bitte!
     
    Der Rummelplatz öffnete um elf. Vor mir lagen also noch einige freie Stunden, und wenn ich nicht irgendeine Beschäftigung fand, käme ich möglicherweise ins Grübeln über das Blut, das an meinen Händen klebte. Das mußte unbedingt vermieden werden. Das Jahrmarktsgelände lag am Rand einer Kleinstadt mit sieben- oder achttausend Einwohnern, und ich machte einen Spaziergang dorthin und frühstückte in einem Cafe. Dann kaufte ich in der Nähe zwei Paar Jeans und einige T-Shirts. Ich sah in der Stadt keinen einzigen Troll, und es war ein so herrlicher Augusttag, daß ich allmählich optimistischer wurde und zu glauben begann, daß alles — die Geschichte mit mir und Rya, die Woche in Yontsdown — eine gute Wendung nehmen würde, wenn ich meinen Verstand gebrauchte und nicht die Hoffnung verlor.
    Um halb elf kam ich zurück, deponierte meine neuen Kleidungsstücke im Wohnwagen und war um Viertel vor elf auf dem Rummelplatz. Noch bevor die Tore geöffnet wurden, war der ›Lukas‹ betriebsfertig, und ich hatte mich gerade auf dem Hocker niedergelassen, um auf die ersten Besucher zu warten, als Rya auftauchte.
    Das goldene Mädchen. Braungebrannte nackte Beine.

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