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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Elektrizität in den Zellen einer Batterie.
    Zu meiner Überraschung öffnete Rya die Pforte im Eisenzaun und näherte sich dem Riesenrad. »Komm«, rief sie mir zu.
    »Wohin denn?«
    »Hinauf.«
    » Was? «
    »Hinauf.«
    »Wie?«
    »Wir stammen doch angeblich von Affen ab.«
    »Ich nicht.«
    »Wir alle.«
    »Ich stamme aber von Murmeltieren ab.«
    »Es wird dir gefallen.«
    »Viel zu gefährlich.«
    »Kinderleicht«, meinte sie und begann hinaufzuklettern.
    Sie sah aus wie ein großes Kind am Kletterbaum eines Spielplatzes für Erwachsene, und ich fühlte mich denkbar unbehaglich.
    Ich mußte an meine Vision einer blutüberströmten Rya denken, obwohl ich ziemlich sicher war, daß derzeit noch keine Todesgefahr für sie bestand, daß ihr Leben in dieser Nacht noch nicht bedroht war. Trotzdem hatte ich rasendes Herzklopfen.
    »Komm zurück«, rief ich.
    Sie blickte aus etwa fünf Meter Höhe zu mir herab. »Komm rauf!«
    »Das ist verrückt.«
    »Es wird dir bestimmt gefallen.«
    »Aber...«
    »Bitte, Slim.«
    » O Gott! «
    »Enttäusch mich nicht«, sagte sie, bevor sie weiterkletterte.
    Ich hatte nicht das Gefühl, als stellte das Riesenrad für uns in dieser Nacht eine Gefahr dar. Seine bedrohliche Ausstrahlung galt der Zukunft; im Augenblick war es nur eine Maschine aus Holz und Stahl und Hunderten von Lichtern, die jetzt natürlich nicht eingeschaltet waren.
    Widerwillig folgte ich Rya, wobei ich rasch feststellte, daß die Streben Händen und Füßen mehr Halt boten, als ich gedacht hatte. Das abgestellte Rad bewegte sich nicht, nur einige der zweisitzigen Gondeln schwankten leicht, wenn der Wind zunahm, oder wenn unsere Bewegungen das Metallgerüst in Vibrationen versetzten. Entgegen meiner Behauptung, von Murmeltieren abzustammen, bewies ich bald, daß meine Vorfahren doch Affen gewesen waren.
    Zum Glück kletterte Rya nicht bis zur obersten Gondel, sondern begnügte sich mit der dritthöchsten. Sie hatte die Sicherheitsstange für mich offenstehen lassen, saß gelassen da und lächelte mir zu, als ich schwitzend und zitternd das Ziel erreichte. Ich schwang mich auf den Sitz neben sie und fand, daß die Kletterpartie sich fast gelohnt hatte, nur um dieses so seltene Lächeln zu erleben.
    Bei meinem unbedacht schwungvollen Einstieg begann die Gondel heftig zu schaukeln, und einen atemberaubenden Moment lang dachte ich, ich würde hinausfallen, durch den gefrorenen Wasserfall aus Metall und Holz in die Tiefe sausen, gegen jede Gondel prallen und schließlich mit voller Wucht auf dem Boden aufschlagen und mir alle Knochen brechen. Doch ich umklammerte mit einer Hand die verzierte Seitenwand der Gondel, mit der anderen die Rückwand und balancierte die Gondel aus. Rya war so tollkühn, sich nur mit einer Hand festzuhalten, und während der stärksten Schaukelei beugte sie sich hinaus, ergriff die Sicherheitsstange und klinkte sie ein.
    »So«, sagte sie, »jetzt haben wir's herrlich gemütlich.« Sie schmiegte sich an mich. »Ich habe dir doch gesagt, daß es schön sein würde. Es gibt nichts Schöneres, als hier im dunklen Riesenrad zu sitzen, wenn der Motor abgestellt ist und ringsum tiefe Stille herrscht.«
    »Kommst du oft hierher?«
    »Ja.«
    »Allein.«
    »Ja.«
    Wir verstummten für einige Minuten, saßen einfach dicht nebeneinander, schaukelten leicht hin und her und betrachteten die nächtliche Szene von unserem dunklen Thron aus. Und als dann doch eine Unterhaltung in Gang kam, drehte sich unser Gespräch erstmals um Dinge wie Bücher, Gedichte, Filme, Lieblingsblumen und Musik, und erst jetzt kam mir zu Bewußtsein, daß unsere bisherigen Gesprächsthemen fast ausschließlich düster und makaber gewesen waren. Es schien fast, als hätte Rya irgendeine schwere Last abgeworfen, um den Aufstieg zu schaffen, und diese unbeschwerte Rya zeigte einen unerwarteten Sinn für Humor und konnte sogar richtig mädchenhaft kichern. Ausnahmsweise war jene geheimnisvolle Melancholie nicht zu spüren.
    Doch dann, etwas später, spürte ich sie wieder, obwohl ich nicht sagen kann, wann diese mächtige Welle der Melancholie sie erfaßte. Wir sprachen unter anderem über Buddy Holly, dessen Lieder wir beim Kehraus geschmettert hatten, und sangen im Duett ein Potpourri unserer Lieblingsmelodien. Wahrscheinlich mußte auch Rya dabei an Hollys viel zu frühen Tod vor viereinhalb Jahren denken, und vielleicht betrat sie damit die erste Stufe der Kellertreppe, die ins Dunkel hinabführte, denn kurze Zeit später unterhielten

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