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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Himmel wäre wieder klar und blau, und die dicken Aschenschichten würden einen prächtigen Nährboden für grüneres und dichteres Gras abgeben, als wir es je gesehen haben, und die Luft wäre unvorstellbar rein. Und Insekten würden auf der Erde regieren, und auch das wäre von eigenartiger Schönheit.«
    Keine anderthalb Kilometer entfernt brannte ein Blitz eine lange zackige Narbe in die Haut der Nacht.
    »Was ist nur los mit dir?« fragte ich, und mein Herz klopfte plötzlich schnell und unregelmäßig.
    »Glaubst du nicht, daß die Insektenwelt von großer Schönheit ist?«
    »Rya, um Gottes willen, dieser Sitz ist aus Metall. Das ganze Riesenrad besteht hauptsächlich aus Metall.«
    »Die bunten Farben von Schmetterlingen, das schillernde Grün von Käferflügeln...«
    »Das Rad ist weit und breit der höchste Gegenstand, und Blitze werden von hohen Gegenständen angezogen...«
    »... das Rot und Schwarz des Rückenschilds eines Marienkäfers...«
    »Rya, wenn ein Blitz einschlägt, werden wir bei lebendigem Leibe geröstet!«
    »Uns wird nichts passieren.«
    »Wir müssen schleunigst runter.«
    »Noch nicht, noch nicht«, flüsterte sie und hinderte mich weiter daran, die Stange zu öffnen.
    »Wenn es nur Insekten und vielleicht noch ein paar kleine Tiere gäbe — wie rein wäre dann alles wieder, wie frisch und neu! Ohne Menschen, die alles beschmutzen und...«
    Sie wurde von einem wilden, zornigen Blitz unterbrochen, direkt über unseren Köpfen zeigte sich ein weißer Riß im Himmelsgewölbe. Der begleitende Donner war so mächtig, daß das Riesenrad vibrierte. Und ein weiterer Donnerschlag ließ meine Knochen trotz ihrer Fleischpolsterung klappern wie Spielwürfel in einem Filzbeutel.
    »Rya, jetzt, verdammt!« schrie ich.
    »Jetzt«, stimmte sie zu, während die ersten dicken Regentropfen fielen. Ihr Lächeln schwankte im stroboskopischen Licht zwischen kindlicher Aufregung und makabrer Fröhlichkeit. Sie schwang die Sicherheitsstange weit auf. »Jetzt! Los! Mal sehen, wer gewinnt — wir oder das Gewitter!«
    Weil ich als zweiter eingestiegen war, mußte ich als erster aussteigen, das Spiel als erster wagen. Ich packte einen der Träger, aus denen das Gerüst des Riesenrads bestand, schlang meine Beine um einen zweiten Träger und glitt etwa einen Meter schräg hinab, bis mir einer der Querbalken den Weg versperrte. Mir wurde plötzlich schwindelig, und ich klammerte mich verzweifelt an die Streben. Manche der riesigen Regentropfen zerschnitten die Luft dicht vor meinem Gesicht, andere trafen meine Haut mit der Wucht kleiner Kieselsteine, wieder andere knallten auf das Riesenrad mit hörbarem Plopp-plopp-plopp. Das Schwindelgefühl verging nicht ganz, aber Rya wartete ein Stück über mir darauf, daß ich ihr den Weg freimachte, und ein neuer Blitz erinnerte mich lebhaft an die Gefahr eines elektrischen Schlages, deshalb setzte ich den Abstieg fort, der sich wesentlich schwieriger gestaltete als der Aufstieg, weil ich mich jetzt rückwärts bewegen mußte. Der Regen wurde stärker, ein Wind kam auf, und der nasse Stahl wurde zusehends rutschiger. Mehrere Male glitt ich aus und suchte verzweifelt Halt an dicken, straff gespannten Kabeln, dicken Trägern oder dünnen Speichen, was gerade in Reichweite war, und ich riß mir einen Fingernagel ein und schürfte mir eine Handfläche auf. Bisweilen kam mir das Rad wie ein riesiges Netz vor, durch das gleich eine vielbeinige Blitz-Spinne auf mich zueilen würde, mit der Absicht, mich zu verschlingen. Dann wieder schien es eine Roulettescheibe zu sein; der wirbelnde Regen, der scharfe Wind und das chaotische Gewitterlicht erzeugten — zusammen mit meinem anhaltenden Schwindel — die Illusion einer kreisenden Bewegung, und wenn ich emporblickte, kam es mir so vor, als wären Rya und ich zwei unglückliche Elfenbeinkugeln, die auf verschiedene Schicksale zurollten. Der Regen kämmte mir das nasse Haar in die Augen. Meine tropfnassen Jeans zogen mich in die Tiefe wie eine Ritterrüstung. Etwa drei Meter über dem Boden rutschte ich aus, fand diesmal nirgends Halt und schoß in den Regen hinaus, die Arme wie nutzlose Flügel ausgebreitet. Ich stieß einen schrillen Vogelschrei aus, überzeugt davon, daß etwas Spitzes mich aufspießen würde. Stattdessen landete ich auf der nassen Erde und blieb völlig unverletzt, obwohl der heftige Aufprall mir im ersten Moment den Atem nahm.
    Ich rollte auf den Rücken, schaute nach oben und sah Rya im Netzwerk des Riesenrads,

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