Zwielicht
sprechen gekommen. Nicht einmal mein sechster Sinn ließ mich erkennen, wie wichtig es für sie war — und weshalb.
Wie hast du dich gefühlt?
»Ich war beunruhigt.«
»Wo warst du in jener Woche?«
»In Oregon, auf der High School.«
»Hast du geglaubt, daß es zum Krieg kommen würde.«
»Ich weiß nicht.«
»Hast du gedacht, daß du sterben würdest?«
»Wir befanden uns nicht direkt in einer kriegswichtigen Zone.«
»Aber der Atomregen wäre doch fast überall niedergegangen.«
»Ich nehme es an.«
»Hast du also geglaubt, daß du sterben würdest?«
»Vielleicht. Es ist mir zumindest durch den Kopf gegangen.«
»Welches Gefühl hattest du dabei?« beharrte sie.
»Kein gutes.«
»Ist das alles?«
»Ich hatte Angst um meine Mutter und um meine Schwestern. Mein Vater war einige Zeit zuvor gestorben; ich war der einzige Mann in der Familie und hatte das Gefühl, sie irgendwie beschützen und ihr Überleben sichern zu müssen, weißt du, aber mir fiel nichts ein, was ich tun könnte, und ich fühlte mich verdammt hilflos... diese Hilflosigkeit machte mich richtig krank.«
Sie schien enttäuscht, so als hätte sie auf eine andere Antwort gehofft, auf irgend etwas Dramatischeres... oder Dunkleres.
»Wo warst du denn in jener Woche?« fragte ich.
»In Gibtown. Nicht weit davon entfernt gibt es Militäreinrichtungen. Es ist ein Zielgebiet erster Ordnung.«
»Du hast also damit gerechnet zu sterben?«
»Ja.«
»Und wie hast du dich bei diesem Gedanken gefühlt?«
Sie schwieg.
»Nun?« drang ich in sie. »Wie hast du dich gefühlt, als das Ende der Welt bevorzustehen schien?«
»Eigenartig«, antwortete sie.
Das war eine bestürzende Antwort, aber bevor ich sie um eine Erklärung bitten konnte, wurde ich von fernen Blitzen im Westen abgelenkt. »Wir sollten lieber hinunterklettern.«
»Noch nicht.«
»Ein Gewitter zieht auf.«
»Wir haben noch jede Menge Zeit.« Sie setzte die Gondel in Bewegung wie eine Hollywoodschaukel, so daß die Scharniere quietschten. Mit einer Stimme, die mir einen kalten Schauder über den Rücken jagte, berichtete sie: »Als es nicht zum Krieg kam, lieh ich mir aus der Bücherei alle Bücher über Atomwaffen aus.. Ich wollte wissen, wie es gewesen wäre, wenn es dazu gekommen wäre, und ich beschäftigte mich den ganzen letzten Winter über damit, unten in Gibtown. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen. Es ist faszinierend, Slim.«
Am Horizont zuckte wieder ein Blitz.
Gleich darauf krachte ein Donnerschlag, so als wäre der tiefhängende Himmel mit den Bergspitzen zusammengestoßen. Das Echo dieses Zusammenpralls rollte dumpf durch die Wolken über dem Rummelplatz.
»Wir müssen hinunter«, sagte ich wieder.
Sie ignorierte diese Mahnung. Ihre leise Stimme hatte einen andächtigen Klang. »Die atomare Vernichtung wäre von eigenartiger Schönheit, weißt du, von schrecklicher Schönheit. Unsere schäbigen, schmutzigen Großstädte würden zu Staub zerfallen, der dann in riesigen pilzförmigen Wolken emporsteigen würde — genauso, wie richtige Pilze auf Dünger wachsen und daraus ihre Kraft schöpfen. Und stell dir nur einmal den Himmel vor! Karmesinrot und orange, grün vom sauren Nebel, gelb vom Schwefel, aufgewühlt, trüb, mit Farben gesprenkelt, wie wir sie nie zuvor am Himmel gesehen haben, mit seltsamen Lichtspielen...«
Wie ein aus dem Paradies verstoßener Engel stolperte ein greller Blitz die Himmelstreppe hinab, verlor an Intensität, je tiefer er kam und verschwand in der Finsternis. Er war viel näher als der vorangegangene Blitz. Auch der Donner war viel lauter. Die Luft roch nach Ozon.
»Es ist gefährlich hier oben«, sagte ich und wollte die Sicherheitsstange öffnen. Sie hielt meine Hand fest und fuhr verträumt fort: »Nach dem Krieg würde es monatelang die unglaublichsten Sonnenuntergänge geben, wegen der Aschenzirkulation hoch oben in der Atmosphäre. Und wenn die Asche anfinge sich zu setzen, hätte auch das eine bestimmte Schönheit, etwa so wie ein schwerer Schneesturm, obwohl es der längste Blizzard aller Zeiten wäre. Er würde monatelang anhalten, und sogar die Dschungel, wo niemals Schnee fällt, würden von diesem Sturm heimgesucht...«
Die Luft war feucht und schwül.
Riesige Kriegsmaschinen donnerten über himmlische Schlachtfelder.
Sie hinderte mich daran, die Sicherung zu öffnen.
»Und schließlich, nach einigen Jahre, würde die Radioaktivität nachlassen, bis sie nicht mehr lebensgefährlich wäre. Der
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