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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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und des Lebensstandards der Bevölkerung beitragen. Die Wildnis ist nun einmal wild und fördert Wildheit; sie ist die Brutstätte der Barbarei.
     
    Mit vierzehn war Maralee schwanger, völlig ungebildet und bildungsunfähig; sie hatte keinerlei Zukunftschancen, aber zuwenig Fantasie, um sich deswegen Sorgen zu machen; sie war geistig einfach zu beschränkt, um zu erkennen, daß ihr ganzes restliches Leben ein langes, grausames Abgleiten in einen schrecklichen Sumpf sein würde. Mit ochsenartiger Ruhe verließ sie sich darauf, daß jemand sich ihrer und des Kindes annehmen würde. Das Kind war Rya, und noch vor Ryas Geburt fand sich tatsächlich jemand, der bereit war, aus Maralee Sween eine ehrbare Frau zu machen, was vielleicht beweist, daß Gott über schwangere Mädchen in abgelegenen Gebirgstälern genauso seine Hand hält wie über Betrunkene. Der Ritter, der um Maralees Hand anhielt, hieß Abner Kady, war 38 Jahre alt — 24 Jahre älter als sie —, 1,95 Meter groß, wog 240 Pfund und hatte einen gewaltigen Stiernacken. Er war der gefürchtetste Mann in einer Gegend, wo gefährliche Burschen alles andere als Mangelware sind.
     
    Abner Kady bestritt seinen Lebensunterhalt mit Schwarzbrennerei und Hundezucht, vor allem aber mit kleinen und gelegentlich auch großen Diebstählen. Ein- oder zweimal im Jahr verübte er mit einigen Kumpanen einen bewaffneten Raubüberfall auf Transportlastwagen, die Zigaretten, Whisky oder sonstige begehrte Artikel transportierten, die sich für teures Geld verkaufen ließen. Die Beute wurde in ein Hehlernest in Clarksburg geschafft, und die Ganoven hätten es entweder zu einigem Wohlstand gebracht oder wären im Gefängnis gelandet, wenn sie dieser Beschäftigung intensiver nachgegangen wären; aber ihr Ehrgeiz war nicht größer als ihre Skrupel. Kady war nicht nur ein Schwarzbrenner, Raufbold und Dieb, sondern liebte es auch, hin und wieder Frauen zu vergewaltigen, um den Sex mit etwas Gefahr zu würzen. Er mußte sich dafür aber nie vor Gericht verantworten, weil niemand den Mut aufbrachte, gegen ihn auszusagen.
    In Maralees Augen war Abner Kady ein wirklich guter Fang. Er besaß ein Haus mit vier Zimmern — eine Bruchbude, aber mit Innenklosett —, und in seiner Familie würde es keinem je an Whisky, Essen und Kleidung mangeln. Abner stahl alles, was benötigt wurde, irgendwo zusammen, und im Gebirge galt er damit als guter Versorger.
    Er war auch gut zu Maralee, das heißt, er behandelte sie nicht schlechter als alle anderen Menschen seiner Bekanntschaft. Er liebte sie nicht. Zur Liebe war er überhaupt nicht fähig. Doch obwohl er sie gern mit Gebrüll und Drohgebärden einschüchterte, schlug er sie nie, weil er stolz auf ihre Schönheit war und ihr Körper ihn stets aufs neue erregte. Und auf eine beschädigte Ware hätte er nicht so stolz sein können.
    »Außerdem«, fuhr Rya in gepeinigtem Flüsterton fort, »wollte er seine kleine Spaßmaschine nicht beschädigen. So nannte er sie — seine ›kleine Spaßmaschine‹.«
    Ich spürte, daß Abner Kady mit der Bezeichnung ›kleine Spaßmaschine‹ nicht ausdrücken wollte, daß ihm der Sex mit Maralee viel Spaß machte. Es ging um etwas anderes, um etwas Düsteres, und Rya war außerstande, ohne Ermutigung darüber zu sprechen, obwohl ich wußte, daß sie nichts sehnlicher wünschte als sich diese Last von der Seele zu reden. Deshalb füllte ich ihr Glas, hielt ihre Hand und führte sie mit sanften Worten durch dieses Minenfeld der Erinnerungen.
    In ihren Augen standen Tränen, und diesmal galten sie nicht Jelly, sondern ihrem eigenen Schicksal. Doch sie war sich selbst gegenüber strenger als zu allen anderen Menschen, sie erlaubte sich keine normalen menschlichen Schwächen wie Selbstmitleid, und deshalb hielt sie diese Tränen mit eisernem Willen zurück, obwohl es ihr zweifellos gut getan hätte, sich einmal richtig auszuweinen. Zögernd und abgehackt, mit schwankender Stimme, sagte sie: »Er meinte damit, daß... daß sie seine... Babymaschine war... und daß man... an Babys... viel Spaß... haben konnte. Besonders... besonders an kleinen Mädchen .«
     
    Ich begriff plötzlich, daß sie mich nicht nur in den unheimlichen Hexenwald führte, in dem Hänsel und Gretel umherirrten, sondern an einen viel schrecklicheren Ort, wo all ihre grauenhaften Kindheitserinnerungen lauerten, und ich war mir nicht sicher, ob ich sie dorthin begleiten wollte. Ich liebte sie. Ich wußte, daß Jellys Tod sie nicht nur traurig

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