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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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machte, sondern auch ängstigte, weil er sie an ihre eigene Sterblichkeit erinnerte. Das hatte in ihr das starke Bedürfnis nach engem menschlichem Kontakt geweckt, nach einem Kontakt, der jedoch nur dann zustande kommen konnte, wenn sie die Barriere niederriß, die sie zwischen sich und der übrigen Welt errichtet hatte. Sie brauchte mich zum Zuhören, und sie benötigte mein Verständnis. Ich wollte für sie da sein. Aber ich befürchtete, daß ihre Geheimnisse irgendwie... nun ja, lebendig und hungrig wären, und daß sie ein Stück meiner eigenen Seele verschlingen würden.
     
    »O Gott... nein...« murmelte ich.
    »An kleinen Mädchen«, wiederholte sie. Sie schaute weder mich noch sonst etwas im Raum an; ihr Blick war mit unverkennbarem Abscheu und Schrecken auf die Vergangenheit gerichtet. »Nicht daß er meine Halbbrüder ignoriert hätte. Er fand auch für sie Verwendung. Aber er bevorzugte Mädchen. Als ich elf war, hatte meine Mutter ihm schon vier Kinder geschenkt, zwei Mädchen und zwei Jungen. Und solange ich mich überhaupt zurückerinnern kann... ich glaube, seit ich etwa drei Jahre alt war... hat er... hat er...«
    »Dich begrapscht«, sagte ich leise.
    »Mich mißbraucht «, korrigierte sie.
     
    Mit ausdrucksloser Stimme berichtete sie von jenen Jahren der Angst, der Gewalt und des schlimmsten Mißbrauchs. Ihre Geschichte ließ mich frösteln.
     
    »Ich kannte nichts anderes, seit ich ein Kleinkind war... bei ihm zu sein... zu tun, was er wollte... ihn zu berühren... mit den beiden im Bett zu sein... mit meiner Mutter und ihm... wenn sie es miteinander trieben. Ich hätte es eigentlich für ganz normal halten müssen, weißt du? Ich hätte denken müssen, daß es in jeder Familie so zuging... aber das war nicht der Fall. Ich wußte, daß es falsch war... pervers krankhaft... und ich haßte es. Ich haßte es!«
    Ich hielt sie fest.
    Ich wiegte sie in meinen Armen.
    Sie erlaubte sich noch immer nicht zu weinen.
    »Ich haßte Abner. O Gott... du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich ihn haßte, mit jedem Atemzug, jeden Moment, ohne Unterlaß. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, derart intensiv zu hassen.«
    Ich dachte an meine eigenen Gefühle gegenüber den Trollen und fragte mich, ob das sich vielleicht mit ihrem in jener Hölle von Bruchbude genährten Haß vergleichen ließ, aber ich mußte zugeben, daß sie wahrscheinlich recht hatte: Einen derart glühenden Haß wie sie konnte ich nicht kennen, denn sie war ein schwaches Kind gewesen, das sich nicht wehren, das nicht zurückschlagen konnte; und außerdem hatte ihr Haß sich über eine viel längere Zeit hinweg entwickelt.
    »Aber dann... nachdem ich dort rausgekommen war... nachdem genügend Zeit vergangen war... begann ich meine Mutter noch mehr zu hassen als ihn. Sie war meine Mutter. Warum beschützte sie mich nicht? Wie konnte sie nur... zulassen, daß ich so mißbraucht wurde?«
    Ich hatte darauf keine Antwort.
    Dafür konnte ich Gott nicht verantwortlich machen. Meistens brauchen wir weder Ihn noch die Trolle; wir können einander ohne göttliche oder dämonische Assistenz verletzen und zerstören.
    »Weißt du, sie war so hübsch, und zwar nicht auf eine blendende Art. Sie sah sehr süß aus, und ich dachte als Kind, daß sie ein Engel sein müsse, weil Engel immer so dargestellt werden, und sie hatte etwas so... Strahlendes an sich... Aber schließlich erkannte ich, wie böse sie war. Gewiß, teilweise lag es an ihrer Ignoranz und niedrigen Intelligenz. Sie war dumm, Slim, das Produkt einer Ehe zwischen Vetter und Kusine ersten Grades, die ihrerseits wahrscheinlich ebenfalls von Eltern abstammten, die miteinander verwandt waren. Eigentlich ist es ein Wunder, daß ich nicht geistig oder körperlich behindert bin. Und ich habe auch keine Kinder in die Welt gesetzt, die Abner dann bestimmt ebenfalls... belästigt hätte. Zum einen kann ich... kann ich wegen der Dinge, die er mir antat... niemals Kinder bekommen. Und zum anderen kam ich mit elf Jahren endlich dort raus.«
    »Mit elf? Wie denn?«
    »Ich habe ihn umgebracht.«
    »Gut«, sagte ich leise.
    »Während er schlief.«
    »Gut.«
    »Ich habe ihm ein Fleischmesser in die Kehle gestoßen.«
    Fast zehn Minuten hielt ich sie in meinen Armen, ohne daß ein Wort fiel oder einer von uns nach seinem Glas griff.
    Schließlich murmelte ich: »Es tut mir ja so leid.«
    »Du kannst nichts dafür.«
    »Ich komme mir so hilflos vor.«
    »An der Vergangenheit läßt sich nichts

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