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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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schreckliche Angst gehabt, sich stattdessen allein an einem dunklen leeren Ort wiederzufinden.
    Ich habe keine Kontrolle über meine psychischen Kräfte, ich kann meine Zwielicht-Augen vor solchen Bildern nicht verschließen. Wenn ich das könnte, hätte ich meinen sechsten Sinn niemals auf jene grauenvolle Angst vor der Einsamkeit eingestellt, die Jelly beim Sturz in den bodenlosen Abgrund überwältigt hatte. Sie verfolgte mich den ganzen Tag über, während ich durch den Regen lief, während ich in Wohnwagen den Gesprächen über unseren ›Flickschneider‹ lauschte, während ich am Riesenrad stand und die Dämonen verfluchte. Jellys Ängste in der Todessekunde verfolgten mich auch noch Jahre später. Bis zum heutigen Tage überfallen sie mich manchmal, wenn der Schlaf mich fli e ht und ich besonders deprimiert bin, und sie sind so lebendig, daß es ohne weiteres meine eigenen Empfindungen und Ängste sein könnten. Inzwischen kann ich damit fertig werden. Nach allem, was ich erlebt und gesehen habe, gibt es heute nicht viel, womit ich nicht fertig werden könnte. Aber an jenem Tag auf dem Jahrmarktgelände von Yontsdown war ich erst siebzehn.
    Gegen drei Uhr nachmittags wurde in den Wohnwagen die Nachricht verbreitet, daß Jellys Leiche nach Yontsdown gebracht worden war, um dort eingeäschert zu werden. Die Urne würde Arturo Sombra entweder am Dienstag oder am Mittwoch übergeben werden, und in der Nacht zum Donnerstag, nach der Schließung des Rummelplatzes am Mittwoch, würde eine Trauerfeier stattfinden, am Karussell, weil Jelly es so sehr geliebt hatte und weil er von dort aus — wie alle glaubten — diese Welt verlassen hatte.
     
    An jenem Abend aßen Rya Raines und ich zusammen in ihrem Wohnwagen. Ich machte einen knackigen grünen Salat, sie machte uns ausgezeichnete Käseomelettes, aber keiner von uns aß viel. Wir waren nicht sehr hungrig.
    Wir verbrachten den Abend im Bett, aber wir schliefen nicht miteinander. Stattdessen saßen wir da, Kissen im Rücken, hielten uns bei den Händen, tranken ein bißchen, küßten uns ein bißchen, unterhielten uns ein bißchen.
    Mehr als einmal weinte Rya um Jelly Jordan, und ihre Tränen überraschten mich. Obwohl ich nie bezweifelt hatte, daß sie fähig war zu trauern, hatte ich sie bisher doch nur weinen sehen, wenn sie an ihre eigene geheimnisvolle Bürde dachte, und auch dann hatte sie die Tränen sichtlich gegen ihren Willen vergossen, sozusagen unter dem Zwang eines enormen inneren Druckes. Ansonsten verbarg sie ihre Gefühle stets — ausgenommen in Augenblicken höchster Leidenschaft — unter der Maske einer kühlen und hartgesottenen Person, der die Welt nichts anzuhaben vermochte. Ich hatte gespürt, daß ihre Bindungen an andere Schausteller viel stärker und tiefer waren, als sie sich eingestehen wollte. Ihr Kummer über Jellys Tod schien die Richtigkeit meiner Wahrnehmungen zu beweisen.
    Früher am Tag hatte auch ich geweint, aber jetzt waren meine Augen trocken, und ein kalter Zorn hatte sich meiner bemächtigt. Ich trauerte nach wie vor um Jelly, aber in erster Linie wollte ich ihn rächen. Das hatte ich mir geschworen. Früher oder später würde ich einige Trolle umbringen, nur um die Partie auszugleichen, und wenn ich Glück hatte, würde ich vielleicht jene Kreaturen erwischen, die Jelly das Genick gebrochen hatten.
    Meine größte Sorge galt jetzt aber den Lebenden, denn mir war überdeutlich bewußt, daß meine Vision von Ryas Tod plötzlich ebenfalls Wirklichkeit werden könnte. Und diese Möglichkeit war unerträglich. Ich konnte — würde, durfte — nicht zulassen, daß ihr etwas zustieß. Unsere Verbindung ging über eine normale Liebesbeziehung weit hinaus, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß mir etwas Derartiges noch einmal mit einem anderen Menschen beschieden sein würde. Wenn Rya Raines starb, würde auch ein Teil von mir sterben, und dann würde es in meinem Inneren ausgebrannte Räume geben, zu denen nie mehr jemand Zutritt hätte.
    Dagegen mußten vorbeugende Maßnahmen getroffen werden. Wenn ich nicht in ihrem Wohnwagen übernachtete, würde ich ohne ihr Wissen vor der Tür Wache halten. Ob ich nun dort oder anderswo unter meiner Schlaflosigkeit litt, war schließlich gleichgültig. Außerdem würde ich mit meinem sechsten Sinn so angestrengt wie nie zuvor die Zukunft zu ergründen versuchen. Wenn ich den genauen Zeitpunkt und die Ursache der Gefahr erkennen könnte, wäre ich imstande, sie zu beschützen. Ich durfte

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