Zwielicht
rau und gleichzeitig grazil.
Die Frau in der Robe sprach sie nicht an, auch wenn sie einen Moment brauchte, um den Grund dafür zu erkennen: Die Arbeit, obwohl in Material und Komposition ganz anders, erinnerte sie zu sehr an die Figur, die Eivos ihr gegeben hatte. Kasidy wusste die Geste des Prylars zu schätzen, hatte aber ein Problem mit der Verbindung zwischen dem Kleinod und B’hala. Es stand noch immer in ihrem Zimmer, doch sie dachte bereits daran, es zu entfernen. Die Stadt B’hala hätte sie auch längst abgehängt, wenn es nicht Bens Lieblingsbild gewesen wäre.
»Die da sind von Flanner Posh«, rief die Ladenbesitzerin. »Erst sechsundzwanzig Jahre alt. Er verlor seinen Vater in einem der Lager.«
Kasidy sah auf und nickte, unsicher über die Bedeutung dieser Bemerkungen. »Das tut mir leid.«
»Uns allen«, sagte die Alte herzlich. »Ich erwähn’s nur, weil das Schicksal eines Künstlers seine Kunst beeinflusst, nich’ wahr?«
Abermals nickte Kas leicht abwesend. Als sie sich jedoch wieder den Skulpturen widmete, schienen sie ihr eine Geschichte zu erzählen. Der Mann, der Vater des Künstlers, arbeitete sich unter der cardassianischen Knute zu Tode, pflügte im heißen Sommer die Felder.
Die Frau war eine Art Geistliche, ebenfalls inhaftiert, und irgendwie eine Quelle der Kraft für den Jungen, den zukünftigen Künstler. Sie half ihm, durchzuhalten. Kasidy wusste nicht, ob all dies der Wahrheit auch nur nahe kam, doch das machte nichts. Das Kunstwerk selbst hatte für sie Gewicht und Bedeutung bekommen.
Langsam sah sie sich weiter um, betrachtete Gemälde und Skulpturen und tauschte hin und wieder ein Wort mit der Galeristin aus, deren Bestand Werke überraschend vieler Künstler umfasste. Nicht wenige davon gefielen ihr. Als sie das Ende des Raumes erreicht hatte, fragte sie die Alte: »Sind davon auch welche von Ihnen?«
»Ach du meine Güte, nein«, antwortete die Frau. »Mein Beitrag zur Welt der Kunst ist weniger produktiver Natur. Ich bin schlicht Kritikerin.«
Kasidy lachte. »Ich auch. Ich kann nicht einmal einen Grashalm zeichnen.«
»Aber du erkennst ein gutes Bild, wenn du’s siehst, richtig?«
»In der Tat, Liebchen«, antwortete Kasidy und ahmte Tonfall und Wortwahl ihrer Gesprächspartnerin nach.
Zu ihrer Freude warf diese den Kopf zurück und lachte schallend.
»Ah, du bist ‘ne Marke, Liebes. Das gefällt mir.«
»Freut mich.« Kasidy konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Dann machst du mir vielleicht ein gutes Angebot für dieses Bild.«
Sie deutete nach links, auf ein pointillistisches Gemälde.
»Hier kriegt jeder ‘n gutes Angebot, Liebchen«, sagte die Frau.
»Und alle dasselbe.«
»Ohne Zweifel. Das Bild … Es passt eigentlich nicht zu mir, aber ich mag den Stil.«
»Das ist Galoren Sens Arbeit«, wusste die Galeristin. »Der wird von Mal zu Mal reifer. Ich mag es auch, aber ich mag alle Werke hier. Sonst wär’n se nich’ in meiner Galerie.«
»Bekommst du noch mehr von ihm rein?«, wollte Kasidy wissen.
»Lass mal nachdenken … Sen bringt mir vermutlich in etwa zwei Monaten wieder was. Vielleicht in drei.«
»Wunderbar«, sagte Kas. »Dann komme ich wieder.«
»Ich hoffe, ich seh dich schon früher. Hier gibt’s ständig neue Sachen.«
»In Ordnung. Dann früher.« Und sie meinte es ernst. Die Alte war ihr sympathisch. Mochten sie auch einige Leute erkannt haben, der Kunde und die Galeristin taten es nicht – und behandelten sie höflich, nicht voller Hochachtung. Vielleicht gaben sie sich sogar Mühe, nicht allzu ehrerbietig aufzutreten. Ob die Bewohner Adaraks ihr die Chance geben konnten, sich auch außerhalb der Rolle zu bewegen, die Bajor ihr zugedacht hatte? Konnte sie das selbst? Die laute, freundliche Frau dort hatte nur Minuten gebraucht, um Kasidy mit Ruhe und einem Gefühl von Akzeptanz zu erfüllen. »Noch einen schönen Abend«, sagte sie zu ihr und fügte hinzu: »Wie heißt du eigentlich?«
»Ich bin Rozahn Kather«, antwortete die Galeristin. »Aber jeder nennt mich Kit.«
»Nett, dich kennenzulernen, Kit. Ich bin Kasidy.«
Kit zwinkerte ihr zu. »Natürlich bist du das, Liebchen.«
Kasidy riss die Augen auf. Die Alte hatte die ganze Zeit über gewusst, mit wem sie es zu tun hatte! Und sie hatte sie nicht anders behandelt als jeden ihrer Kunden.
Als Kasidy die kleine Galerie verließ, fühlte sie sich wohler als je zuvor seit ihrem Umzug nach Bajor. Zwei Frauen passierten sie auf der Straße, und sie grüßte sie
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