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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David R. George III
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nun real oder nicht.
    »Elias, ich muss mit dir über etwas sprechen.«
    Oh nein. Er versteifte sich, als wäre er in Eiswasser gefallen. Nein.
    Nicht diese Nacht. Von allen Nächten nicht diese. Und er sagte es ihr.
    »Nein, Ma. Ich will nicht reden. Nur zu den Sternen sehen. Mit dir.«
    »Elias.«
    »Nein.« Vaughn streifte seine Decke ab und stand auf. »Erzähl’s mir morgen«, bat er und wusste doch, dass es kein Morgen geben würde. Auf mehr als eine Weise.
    In ihren Augen spiegelten sich die Flammen. Sie hatte die Hände vor den Schienbeinen gefaltet, umarmte ihre Knie. In ihrem Blick sah er Liebe und Zuneigung – eine Liebe, die ihm seinen Wunsch gewähren würde. Dann aber sagte sie: »Ich habe die Burkhardtsche Krankheit.«
    Vaughn erwiderte nichts. Plötzlich war ihm, als müsse er sich in die Flammen stürzen, und das war neu. Es entsprach nicht seinen Kindheitserinnerungen. Die Vergangenheit war lebendig geworden, doch die Jahre der Erfahrung machten den Moment sogar noch schlimmer.
    »Ma, bitte nicht.«
    »Man hat es diese Woche festgestellt«, sagte sie sanft, ihr Gesicht ein Musterbild der Empathie. Die Bedeutung ihrer Worte schien sie weniger zu kümmern als deren Auswirkungen auf Vaughn. »Es ist eine aggressive …«
    »Nein!«, rief Vaughn wie ein Junge, der eine Tatsache durch Igno-ranz zu verleugnen versucht. »Nein.« Er wollte diesen Moment nicht akzeptieren, wollte ihn bereits damals nicht akzeptieren. Also wandte er sich um und ging in die Dunkelheit.

    »Elias«, hörte er seine Mutter hinter sich rufen, doch er schwieg, ging weiter, ließ sich von der schwarzen Leere dieses bizarren Ortes verschlucken. »Elias.« Sie rief, folgte ihm jedoch nicht. An den genauen Ablauf dieser Nacht hatte er sich nie erinnern können. War er damals auch weggelaufen? War sie ihm nachgegangen?
    Seine Mutter rief ihn kein drittes Mal, und auch Schritte blieben aus. Offenkundig hatte sie sich entschlossen, ihn alleinzulassen. So, wie sie mich schon vor Jahren verlassen hat , dachte er. Mich allein ließ.
    Vaughn stolperte, stürzte – und blieb einfach liegen. Eine ganze Weile. Das Gesicht im Dreck, die Handflächen am Boden, die Arme seitlich des Oberkörpers. Irgendwann drehte er sich auf den Rücken und sah zum Himmel.
    Keine Sterne. Nicht einmal die Wolken konnte er in dieser Schwär-ze ausmachen. Doch vor seinem geistigen Auge schwebte das Gesicht seiner Mutter und brachte Erinnerungen an vergangene Minuten, vergangene Jahre.
    Sie ließ mich allein , dachte er wieder, und uralte Wut, Trauer und Frust begleiteten die Erinnerung. Kein Wunder, dass Prynn mich hasst.
    Mit einem Mal musste er lachen, ein humorloses Bellen in der Nacht. Wie ihm die Mutter genommen worden war, hatte er Prynn die ihre genommen. Ruriko. Im Leben seiner Tochter war er nicht besser als eine Krankheit.
    So viele erfolgreiche Missionen. Doch als mich mein Kind am meisten brauchte, versagte ich. Ließ ich es allein.
    Er entsann sich, wie er ihr vor anderthalb Tagen in die Augen geschaut hatte – eines von Blut durchzogen –, sich dann umgedreht hatte und gegangen war. Und er wünschte sich, er hätte noch einmal zurückgeblickt. Wie hatte er sie nur erneut verlassen können? Erst ohne Mutter, dann auch noch ohne Vater.
    Ohne Vater? , wiederholte er fragend. Er war doch hier, war doch ihr Vater. Ihre Mutter mochte seit Jahren tot sein, aber er lebte!
    Doch lebte er für sie? Vaughn war stets ehrlich zu ihr gewesen was seine Rolle bei Rurikos Tod betraf und verstand Prynns Wut. Diese Wut und seine eigenen Schuldgefühle bildeten seitdem die Definition ihrer Beziehung zueinander. Prynn und er hatten das Thema nie wieder angeschnitten, abgesehen von ihren Schuldzuweisungen und seinem Bedauern. Er hatte sich bemüht, sie …
    Sie allein zu lassen. In Ruhe. Dieses Mal traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag auf den Hinterkopf. Er hatte Prynn die Mutter genommen, daran bestand kein Zweifel. Nun aber erkannte er, dass sie dank ihm auch keinen Vater mehr hatte. Wegen seiner Schuld und ihrem Zorn hatte er sich aus ihrem Leben entfernt. So hatte sie es ge-wollt – aber nicht gebraucht. Er hatte sich damit zufriedengegeben, weil es der Weg des geringsten Widerstandes gewesen war. Seine Chance auf Buße. Die ganze Zeit war ihm klar gewesen, dass Prynn einen guten Grund hatte, ihn zu hassen. Jetzt begriff er, dass es sogar zwei gab. Er war nicht da gewesen, um ihr durch jene schwere Zeit zu helfen.
    Vaughn fuhr sich durchs Gesicht, ließ die

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