Zwielicht
kartografieren. Föderationsastro-nomen hatten die Arbeit rudimentär fortgeführt, und es waren einige Berichte und Gerüchte über Handelsfraktionen aufgekommen, doch kaum mehr als das. Letztlich hatte sich Vaughn für eine Route entschieden, die durch Gebiete mit vielen Sternen und einigen bereits identifizierten Naturerscheinungen führen würde – hier ein Doppelsternsystem, dort eine Gruppe brauner Zwergsterne.
Die Backbordtür der Brücke öffnete sich zischend, und Vaughn sah Ensign Roness eintreten. Die große, anmutige Blondine hielt ein Padd in der einen und einen Spanner – ein blaues Werkzeug mit zwei Zacken – in der anderen Hand und begab sich zur Flugkontrolle, wo sie sich mit Prynn besprach. Roness würde die Beta-Schicht leiten, sobald die Reise losging. Momentan kümmerte sie sich um die Koordinierung der Aufrüstungen des Schiffscomputers.
Vaughn betätigte eine Taste unterhalb seines Monitors, und eine Reihe roter Bögen erschien entlang der hellgrünen Kurslinie. Sie gingen beidseitig von der Ellipse ab und standen für die Sonden, die die Besatzung während der Mission aussenden würde, um noch mehr Daten zu sammeln. Vaughn wollte sein Möglichstes versuchen, damit die Mannschaft und er aus dieser Reise den größtmöglichen Nutzen ziehen konnten. Mit ein wenig Glück mochten sie auf Wunder stoßen.
Seit er ein Junge gewesen war und zum Nachthimmel über Berengaria VII aufgeblickt hatte, war sich Vaughn über die Größe des Alls im Klaren. Mit jugendlicher Begeisterung und Leichtgläubigkeit hatte er sich vorgestellt, in diesen Weiten nach Lebewesen und Orten voller Überraschungen zu suchen. Er hatte alles gelernt, was es über irdische Entdecker wie Leif Eriksson, Ferdinand Magellan, Meriwether Lewis und William Clark, Neil Armstrong, Jonathan Archer und all die anderen zu lernen gab und von dem Tag geträumt, an dem er sich ihnen anschließen würde. Damals wusste er nicht, dass die Umstände und sein Talent zur Spionage ihm diese Möglichkeit alsbald rauben würden.
Doch nun, ein Jahr nach seinem einhundertsten Geburtstag, entsann er sich der Zielsetzungen seiner Kindertage und fand es gleichermaßen verblüffend und befriedigend, dass sie aller jahrzehnte-langen Vernachlässigung zum Trotz überlebt hatten. Vaughn schaute auf die Abbildung des Weges, den die Defiant in sechs Tagen einschlagen würde – den er einschlagen würde – und begriff abermals, dass es der Schatztruhe namens Universum nie an Juwelen mangelte.
»Sir?«, erklang eine weibliche Stimme hinter ihm. Vaughn drehte sich um und erblickte Ensign Roness. Der Spanner war fort, doch das Padd hielt sie nach wie vor in der Hand.
»Ja, Ensign?« Angestrengt versuchte er, sich an ihren Vornamen zu erinnern – Tilda? Greta? –, bis ihm einfiel, dass sie Gerda hieß.
»Sie baten um die jüngsten Statusberichte, Sir.« Ihrem Tonfall nach zu urteilen, schien ihr die Situation nicht sonderlich zu gefallen.
Vaughn nahm das Padd, ohne hinzusehen. »Stimmt etwas nicht, Ensign?«
»Ich, ähm, glaube nicht, dass Sie vollends mit den Fortschritten der Besatzung zufrieden sein werden.«
»Bisher bin ich von ihnen begeistert«, erwiderte Vaughn und warf einen knappen Blick auf den Datenträger. »Seien Sie unbesorgt.«
»Danke Sir. Wo soll ich mich als Nächstes melden?«
Vaughn trat einen Schritt zur Seite und sah an ihr vorbei zur Flugsteuerung. »Ensign Tenmei?«, fragte er gerade laut genug, um über die Arbeitsgeräusche hinweg verstanden zu werden.
Sofort wandte Prynn sich in ihrem Sitz am vorderen Ende der Brücke um. »Ja, Sir?«
Vaughn zögerte einen Sekundenbruchteil, denn der Anblick seines Kindes an dieser Station brachte schmerzhafte Erinnerungen an den Moment, in dem er sie verloren geglaubt hatte. Aber die Hoffnung folgte ihnen auf dem Fuße. In Prynns Gebaren, ihrer Stimme, ihrem Gesicht lag keinerlei Feindseligkeit. Eins musste er ihr lassen: Seit ihrem Gespräch vor zwei Wochen war sie ein Musteroffizier und gab ihm keinerlei Grund, das Thema erneut zur Sprache zu bringen.
Es befriedigte ihn unermesslich, zu sehen, dass sie dank ihrer Arbeit etwas in ihrem Leben hatte, das sie von ihren Sorgen ablenkte, auch wenn er selbst eine dieser Sorgen war. Wenn Gedanken und Gefüh-le das Verhalten beeinflussten, so wusste er gleichzeitig, dass sich Letzteres auch auf das Denken und Empfinden auswirkte. Sollte Prynns berufliche Beziehung zu ihm positiv bleiben, hatte dies auch positive Folgen für ihre privaten
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