Zwielicht über Westerland
breit. Es war jedoch nicht die Art von Gänsehaut, die sich einstellte, wenn sie mit Matt sprach.
Gegen Dienstende fing Sophie immer an zu frieren, das war wohl die Müdigkeit.
Schnell schrieb sie alle im gleichen Zeitraum wie Martha angereisten weiblichen Personen und deren Telefonnummern auf einen Zettel und ließ diesen in ihrer Tasche verschwinden.
„Guten Morgen“, flötete eine freundliche Stimme über den Tresen. Es war Vanessa, die den Schlüssel für die Küchenräume abholte und sich in die Anwesenheitsliste eintrug.
„Na, das Wetter schlägt um. Schätze, du wirst die nächsten Nächte Brandsalbe auf Sonnenbrände auftragen müssen.“
„Du sagst es“, antwortete Sophie zerknirscht. Sie wusste, dass Vanessa Recht hatte. Die Patienten gingen nicht halb so sorgsam mit ihrer Haut um wie sie als Blutsüchtige.
Den Schlüssel zu ihr hinüber schiebend bemerkte sie, dass Vanessa die Ordner musterte, die noch nicht zurück an ihrem Platz waren. Völlig belanglos fragte Sophie sie schnell, ob sie am Abend Dienst hätte.
„Früh- und Spätschicht, Nachmittag mit Sunblocker im Schwimmbad“, rief Vanessa über die Schulter und verschwand. Ihre Schritte hallten durch den Flur und Sophie nahm sich vor, demnächst besser aufzupassen.
Mit etwas schlechtem Gewissen wegen der geklauten Namensliste machte Sophie sich nach Dienstende auf den Weg zum Fahrradständer.
Irgendjemand, und sie hoffte inständig, dass es Matt gewesen war, hatte ihr eine Margerite an den Lenker gebunden.
Mit hüpfendem Herzen fuhr sie den Radfahrweg entlang.
Zu Hause stellte sie die Blume in eine leere Seltersflasche und nahm sich zum hundertsten Male vor, endlich einmal Blumenvasen zu besorgen.
Nach einem kleinen Frühstück war es jetzt kurz nach neun, als sie zum Telefonhörer griff und die erste Nummer wählte.
„Guten Morgen meine Name ist Rita Puk, Wellenklinik Westerland. Frau Claußen, bei uns ist im Juni ein rosafarbener Bademantel gefunden worden, kann es sein, dass er Ihnen gehört? Wir würden den Mantel gerne an Sie zurücksenden“, sagte sie in der besten, geschäftsfreundlichsten Stimme, die sie hervorbringen konnte.
„Ach, schade, Frau Zimmermann aus der 211 meinte, es wäre Ihrer gewesen... Hmmm, Sie kennen Frau Martha Zimmermann nicht, dann hat sie sich getäuscht. Schönen Tag noch“.
Auch die weiteren fünfzehn Anrufe blieben erfolglos. Niemand konnte sich ernsthaft an Martha erinnern, bis auf eine Dame, die mitihr im Speisesaal am gleichen Tisch gesessen hatte. Aber näheren Kontakt hatte sie auch nicht mit ihr gehabt.
Enttäuscht und müde ging Sophie ins Bett. Über ihr war es ruhig. Kevin, der Bäcker schien noch zu arbeiten. Nach sieben Tagen Nachtschicht kamen fünf freie Tage auf sie zu. Mit gemischten Gefühlen dachte sie an die Freizeit, denn keine Klinik hieß auch kein Blut und vor allem kein Matt. Für das erste Problem hatte sie Kevin, aber für das zweite Problem musste sie sich noch etwas einfallen lassen.
Und in dem schönen Dämmermoment, in dem sie noch nicht schlief, aber sich schon aus dem Realen löste, war Matt ihr letzter Gedanke.
Ein traumloser Schlaf holte sie und ließ sie erst wieder los, als es vier Uhr nachmittags war.
Mit einer Tasse Tee, einer Kerze und einem Schreibblock saß sie auf der Bettkante und machte sich einen Schlachtplan. Ihre Vorliebe für solche Pläne hatte sich in der Vergangenheit als sehr nützlich erwiesen. Oft handelte sie nicht genau danach, aber meist fielen ihr beim Aufschreiben Zusammenhänge und Lösungen ein. Es war ein guter Weg, um Gedanken zu ordnen.
Zufrieden legte sie den Block nach einer halben Stunde aus der Hand. In ihrer kleinen Wohnung wurde es trotz der zugehängten Fenster zunehmend wärmer. Die Hitze des Tages zog langsam herein.
Nach etwas Hausarbeit und einer frischen Dusche machte sie sich auf zur Klinik.
Anja erwartete sie an der Rezeption. Ihr Dienst ging noch bis 22 Uhr, erst danach würde Sophie weiter recherchieren können. Es galt, noch die schon vorher und die später angereisten Patientinnen zu notieren.
Es schien tatsächlich eine unruhige Nacht zu werden, wie Vanessa ihr vorausgesagt hatte. Zwei Patienten hatten sich einenSonnenstich geholt, wovon der eine sich im Bett übergeben hatte. Die diensthabende Ärztin hatte daraufhin fluchtartig das Zimmer verlassen.
Drei Patienten hatten sich Sonnenbrände zugelegt und Liebeskummer 206 war weder zum Abendbrot noch zur Sauna erschienen. Leider ließen all diese
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