Zwielicht über Westerland
dichte, dunkle Wimpern hat er auch noch.“
Bemüht, sich zu fangen, strich sie sich über ihren weißen Kittel.
„Hallo, kann ich jetzt etwas für Sie tun?“, fragte sie und hoffte, es würde sich einigermaßen ruhig anhören.
„Ich möchte mich nur anmelden. Ich geh durch zu meinem Onkel.“
„In welchem Zimmer ist Ihr Onkel untergebracht und wen darf ich melden?“, fragte Sophie betont geschäftsmäßig.
„Sorry, mein Name ist Matthias Wagner“, antwortete er, wobei er seinen Namen in amerikanischem Englisch aussprach.
„Mein Onkel Professor Dr. Martinsen ist kein Patient. Er arbeitet hier. Kennen Sie ihn?“
Verwunderung lag in seinem Gesicht.
„Äh, doch natürlich“, log sie und machte sich eine kleine Notiz auf einem Schmierzettel.
„Bitte gehen Sie durch.“
„Danke Schwester Sophie“, lächelte er und Sophie hasste sich.
Verdrossen saß sie eingeknickt auf dem Bürostuhl, als sie erneut eine Stimme zusammenzucken ließ.
„19:30 Uhr Abendessen Chef“, tönte Roswita um die Ecke.
Sie holten zwei Tabletts aus der Küche und brachten sie in die Laborabteilung.
Vor einer roten Tür mit der Warnung
Eintritt verboten, Röntgenstrahlung
blieb Schwester Roswita stehen und klopfte.
Ein kahlköpfiger Mann um die sechzig öffnete ihnen die Tür. Er trug einen Mundschutz auf der Stirn und einen weißen Kittel.
Das Labor zeigte keinerlei Röntgenapparate, dafür aber jede Menge Zentrifugen, und handschriftliche Notizen.
„Professor, das ist unsere neue Nachtschwester Sophie. Sie hat heute ihre erste Nacht hier, seien Sie nett zu ihr.“ Anscheinend mochte jeder Roswita, denn der Professor reichte Sophie lächelnd seine behandschuhte Hand.
„Willkommen, Schwester Sophie, wir machen das schon“, zwinkerte er ihr zu. Dann drehte er sich um und zeigte auf den jungen Mann im Hintergrund.
„Meinen Neffen kennen sie ja.“
Er trug eine Schutzbrille, aber seine Augen leuchteten darunter hervor wie zwei grüne Glasfenster im Sonnenlicht.
„Willkommen“, sagte er leise. „Hoffentlich gefällt es Ihnen hier.“
„Nicht zu verachten, oder?“ fragte Roswita auf dem Rückweg zur Rezeption.
Sophie wusste sofort, was sie meinte, antwortete aber: „Ein bisschen wenig Haare und ein bisschen zu alt.“
Die Nachtschwester schlug sich auf die Oberschenkel und lachte herzhaft. Unter Husten rief sie: “Sophie, du machst das hier.“
Die Nacht verlief ruhig und der Professor und sein Neffe gingen wortlos mit kurzem Kopfnicken gegen 6 Uhr morgens. Die Küchenfeen kamen um die gleiche Zeit, um das Frühstück vorzubereiten. Die Ablösung der Nachtschwestern erfolgte erst gegen 8 Uhr.
Um 6:50 Uhr ging ein Anruf an der Rezeption ein. Roswita holte sich gerade etwas aus der Küche, sodass Sophie an den Apparat ging. „Wellenklinik Westerland. Mein Name ist Sophie Johannsen, was kann ich für Sie tun?“ Sie hatte in so vielen Kliniken gearbeitet, dass sie höllisch aufpassen musste, nicht den falschen Kliniknamen zu sagen.
„Tach, ich will sofort meine Frau sprechen. Sie ist nicht auf ihrem Zimmer. Ich glaub, sie hat einen Kurschatten“, ein fürchterlicher Heulton kam aus dem Hörer.
„Du bist ein Blödmann, wenn du glaubst, ich fall darauf rein, Jan Johannsen“, kicherte Sophie zurück.
„Mist, aber es hat sich doch echt angehört, oder?“, wollte Jan wissen. Doch dann gratulierte er ihr zu dem neuen Job und wünschte ihr alles Gute. Er war mit seinem Praktikum in einer Berliner Unfallklinik fertig und versprach, bald zu Besuch zu kommen. Vorher wollte er einen Urlaub in Italien genießen. Susi, seine momentane Freundin, sollte ihn als Proviant und so begleiten.
Sophie erzählte kurz von ihrem Besuch in Keitum, der Eiche und ihrer Auseinandersetzung mit Alex. Ihre Angst ließ sie weg.
Er hörte ganz still zu.
„Du tust das einzig Richtige, du hörst auf dein Herz, Schwesterlein“, nuschelte er in den Hörer und legte auf.
Glücklich über diese erste Nacht fuhr sie mit ihrem Rad nach Hause. Besser hätte es nicht laufen können. Er hatte grüne Augen, seufzte sie.
Sicherlich war er Amerikaner, aber wieso sprach er so perfekt Deutsch? Sie würde es herausbekommen, da war sie sich sicher. Sie durfte nur nicht ihre anderen Pläne aus den Augen verlieren.
Alle waren so nett gewesen. Und Jan hatte angerufen, hatte an ihren ersten Arbeitstag gedacht. Bald würde er sie besuchen.
Als sie in ihrem Bett lag, wusste sie die Antwort auf die Frage des Nachmittags. Nein, wenn sie die Wahl
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