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Zwielicht über Westerland

Zwielicht über Westerland

Titel: Zwielicht über Westerland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lindwegen
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unnötigen Leiden Sophie keine Zeit, Matt und dem Professor das Abendbrot zu bringen, was sie am meisten ärgerte.
    Erst gegen 22 Uhr schaffte sie es zur Rezeption zurückzukehren. 206 kam gerade noch rechtzeitig vor dem Zapfenstreich zur Tür herein. Betont beherrscht versuchte sie, ihren angetrunkenen Zustand zu verbergen. Sophie sagte nichts und eilte in das Rezeptionszimmer, um hinter den Tresen zu gelangen. Dort saß Anja am Tisch. Sie hatte ihre Arme auf die Tischplatte gelegt und verbarg ihr Gesicht darin. Sophie gab eilig und mit strengem Blick den Zimmerschlüssel 206 heraus und kniete neben Anja nieder.
    „Was ist los, Anja? Bist du müde oder hast du was?“, fragte sie freundschaftlich.
    Anja antwortete auch nicht, nachdem Sophie ihr über den Kopf gestreichelt hatte. Ein ungutes Gefühl ließ Sophie nach dem Handgelenk ihrer Kollegin greifen. Der Puls war langsam, aber gut zu fühlen. Vorsichtig hob sie Anjas Kopf an und lehnte den schlaffen Körper gegen die Wand. Anjas Augen waren nur halb geschlossen, wie in Trance blickte sie durch Sophie hindurch. Ihr Mund war leicht geöffnet, Speichel floss in einem kleinen Rinnsal heraus. An ihrer weißen Rezeptionsbluse klebte ein roter Blutfleck, wie ein Hinweispunkt auf etwas Undenkbares. An Anjas Hals waren zwei kleine Wunden zu erkennen, wie Mückenstiche so groß. Sophie wich zurück.
    Wie oft hatte Sophie diesen Anblick schon erlebt? Zirka neun Dekaden lang an ungefähr zwei Tagen in der Woche, manchmal auch nur an einem. Doch das hier war anders. Sie war es nicht gewesen, wer war es dann? Aber ebenso wichtig war die Frage:
    Warum? Um seine Blutsucht zu stillen oder um ein Zeichen zu setzten? Vielleicht um sie zu verwarnen? Letztendlich könnte dieser Vorfall sie in Schwierigkeiten bringen. Ihr Herz begann so zu rasen, dass es in ihren Ohren rauschte.
    „Hallo, bist du hier?“, rief es vom Tresen herüber. Mit hochrotem Kopf eilte sie die wenigen Schritte aus dem Raum und hinter den Tresen. Dort lehnte sich ein ungefähr achtzehnjähriger Junge lässig über den Granit.
    „Dachte, du brauchst ein bisschen Gesellschaft“, plauderte er drauf los. Erst jetzt erkannte Sophie ihn. Es war einer der Zivildienstleistenden. Ohne Berufsbekleidung erkannte sie ihre Kollegen noch nicht alle.
    „Tom, ich hab überhaupt keine Zeit. Hier ist die Hölle los heute Nacht“, versuchte sie ihn los zu werden.
    „Ich heiß Tim“, antwortete er beleidigt und drehte sich Richtung Ausgang. Was Sophie daran erinnerte, die Eingangstür nun abzuschließen. Wer jetzt rein wollte, musste klingeln. Nach draußen kam man auch so. Sie kramte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel und ging zurück zu Anja, deren Zustand noch unverändert war. Es konnte jedoch nicht mehr lange dauern, bis sie erwachte. Ihr Puls war jetzt kräftig und gleichmäßig, Augen und Mund unverändert.
    „Magst du überhaupt Margeriten?“, fragte Tim, der zurückgekehrt war und plötzlich in der Tür des Rezeptionszimmers stand. Er lächelte von einem seiner Segelohren bis um anderen, doch mit einem kurzen Blick auf Anja wich das Lächeln mitsamt seiner gesamten Gesichtsfarbe.
    „Shit, was ist mit ihr?“, flüsterte er fast ängstlich. „Ich hol den Diensthabenden“.
    Mit einer flinken Drehung war er wieder in der Halle und Sophie hatte Mühe ihm zu folgen. Sie packte ihn am Ärmel seiner Sweatshirtjacke und versuchte beruhigend auf ihn einzusprechen. „Tim, Tim bitte. Anja ist okay. Sie ist nur unterzuckert.“
    In seinem Blick war Misstrauen, was Sophie nicht verwunderte.
    „Bitte warte. Ich wollte mich nur kurz bedanken für die Blume. Hatte gehofft, dass sie von dir ist“, log Sophie und hasste sich dafür und für das, was sie nun tun musste.
    In seinen Augen war jetzt so etwas wie Verwunderung zu sehen. Ein kleiner Anflug von Freude zuckte über seine Mundwinkel. Sophies Mundwinkel zuckten ebenfalls. Brav ließ er sich das Baumwolltuch vom Hals nehmen und sich an den Schlaufen seiner Jeans in Richtung Toiletten ziehen.
    Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um an seinen Hals zu gelangen. Da sie keinerlei Blutdrang hatte, fiel es ihr sehr schwer, ihn zu beißen. Augen zu und durch, befahl sie sich und hoffte, er würde wirklich schon volljährig sein. Es war bei Strafe verboten, Minderjährige zu beißen. Nicht auszudenken, wenn sie nach neunzig Jahren des Wartens jetzt wieder von der Insel geholt werden würde.
    Während sie ihren Leib gegen den seinen presste, öffnete sie mit einer

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