Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwielicht über Westerland

Zwielicht über Westerland

Titel: Zwielicht über Westerland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lindwegen
Vom Netzwerk:
nicht vor“, schmunzelte Sophie, als sie die Auffahrt zu dem kleinen Haus aus den Fünfzigerjahren hinauffuhren.
    Die Tür des schlecht isolierten, aber bezahlbaren kleinen Mietreihenendhauses stand einen Spalt offen. Wieder beschlich Sophie das ungute Gefühl, welches sie bereits in der Klinik gehabt hatte. Als der Wagen hielt, sahen sie durch die schmale Öffnung einen Fuß in einer geringelten dicken Wollsocke. Jan reagierte als erster, er riss die Wagentür auf und rief noch im Laufen Vanessas Namen. Gregor schien unfähig zu reagieren. Seine Hände umklammerten das Lenkrad so sehr, dass seine Handknöchel weiß hervor traten.
    „Gregor, komm.“ Sophie packte seine Schulter von hinten und schüttelte sie. Erst jetzt folgte er Jan ins Haus.
    Nahezu unverletzlich zu sein gab Sicherheit. In dieser zutiefst erschüttert starrten sie auf Vanessa, die am Boden lag. Aus ihrer Nase lief ein Gemisch aus Blut und Rotz und hatte auf dem Teppichboden einen erschreckend großen Fleck hinterlassen. Die leicht geöffneten Lippen waren geschwollen und auch aus ihnen lief ein kleines Rinnsal dunklen Blutes, das ihren Pullover erreicht hatte. Wie durch epileptische Anfälle geschüttelt zuckte und bebte ihr blasser Körper.
    Jan war niedergekniet und fing an, seine Freundin zu untersuchen. Auf sein Zeichen hin brachten sie sie ins Wohnzimmer und legten sie auf das Ecksofa.
    „Wir müssen einen Arzt holen“, Gregor schrie fast.
    Sophie hätte es nie für möglich gehalten, aber ihr Bruder war plötzlich der kompetente und ruhige Arzt, den er in der Klinikdarstellte. Obwohl die Situation keinen Raum oder keine Zeit dafür ließ, überkam Sophie so etwas wie Stolz für ihren Bruder.
    „Gregor, setzt dich hin und sei leise. Arzt und Schwester sind bereits anwesend. Ich weiß, was sie hat. Es wird ihr gleich besser gehen.“
    Seiner Schwester deutete er mit wenigen Blicken, was sie zu tun hatten. Vorsichtig zogen sie Vanessa den durchweichten Rollkragenpulli aus. Jetzt sah auch Sophie, was mit Vanessa geschehen war, doch Jan deutete ihr mit einem weiteren Blick, den Mund zu halten. Eilig lief sie ins Badezimmer und kam mit frischen Handtüchern und einem Waschtuch wieder.
    Nachdem sie ihr Gesicht und ihren Hals gesäubert hatten, richtete Jan ihren Oberkörper auf und nahm sie in den Arm. Dann fuhr er mit der Zunge über die beiden Bissmale an ihrem Hals. Sie schrie einmal laut und schrill auf, um gleich darauf in sich zusammenzusacken und in den erlösenden Schlaf zu fallen. Gregor war aufgesprungen und lief ins Badezimmer, um sich zu übergeben. Vanessa hatte das kleine Wohnzimmer in ihren Lieblingsfarben geschmückt, weiß und pink. Nun saßen sie wortlos an dem festlich gedeckten Tisch mit seinen pinkfarbenen Begrüßungsgetränken und den weiß und pink gepunkteten Servietten. Eine Vase mit Blumen in ihren Farben lag umgestürzt auf dem Boden, offenbar hatte es einen Kampf gegeben. Ihre Handtasche lag ausgeschüttet auf dem Sideboard. Das Dekadenkind schlief immer noch ganz friedlich unter einer warmen Wolldecke.
    „Wer tut so etwas?“, brach Gregor das Schweigen.
    Jan streichelte seiner Freundin über die Haare.
    „Das werden wir hoffentlich gleich wissen, wenn sie wieder zu sich kommt.“
    Sophie nötigte Gregor, ihr bei der Beseitigung der Bodenflecken zu helfen. Nur langsam und scheinbar unsicher bewegte er sich durch die untere Etage. Schließlich setzte er sich auf die Treppe und überließ ihr die Arbeit.
    Wie zur Entschuldigung flüsterte er: “Sie hatte sich so auf heute gefreut. Sie wollte uns irgendetwas Tolles mitteilen.“
    Sophie antwortete nicht, überlegte aber, was es sein könnte. Bei jeder anderen jungen Frau hätte sie vielleicht an eine Schwangerschaft gedacht, aber das war in diesem Fall ausgeschlossen. Beförderungen gab es in der Klinik nicht, wenn man bereits Küchenchefin war. Sie wusste es einfach nicht.
    Von ihrem Verdacht, den Täter betreffend, und Alex’ Warnung sagte sie vorerst nichts.
    Die übliche halbe Stunde der Regenerierung schien bei Vanessa unendlich lange zu dauern. Erst nachdem sie eine Zeit lang in Jans Arm geweint hatte, richtete sie sich auf und zog die Decke bis an ihr Kinn. Sophie eilte ins Bad, holte einen Bademantel und legte ihn ihr über. Vanessa weinte erneut und auch Gregor war nicht weit davon entfernt.
    Sie wussten alle, was es bedeutete, wenn ein Blutsüchtiger einen anderen biss. Es brachte dem Nehmenden rein gar nichts, es war ausschließlich zur Demütigung des

Weitere Kostenlose Bücher