Zwielicht über Westerland
heißt Richard und wäre sicher froh, einmal in Deutschland Urlaub machen zu können. Dafür brauche ich ein Zimmer und Verpflegung in der Klinik.“
„Oh, und waren sie damit einverstanden?“ Sie hoffte es so sehr.
„Ja, es hat alles geklappt. Sie hoffen natürlich auch auf eine super PR, weil ihre Klinik ins Gespräch kommen würde, wenn ich Erfolge erzielen kann. Sie haben mir sogar erlaubt, eine ihrer Schwestern für drei Monate zu entführen. Na ja, sie wird halb in den Urlaub geschickt und halb beurlaubt ohne Bezüge, aber sie hat es sich auch wirklich verdient.“
Sophie löste sich von seiner Brust und schaute tief in die grünen Augen, die sich scheinbar vor Lachen kaum zurückhalten konnten.
„Matt, meinst du etwa mich?“
„Wen sonst? Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange, aber ich will dich jetzt nicht schon wieder verlassen. Komm mit rüber, mach Urlaub, lerne meine Familie und mein Land kennen. Ich würde mich so freuen, Sophie. Und ehe du dich versiehst sind wir beide wieder zurück in Westerland. Was meinst du?“
Antworten konnte sie nicht, aber ihr Aufschrei und der leidenschaftlichen Kuss danach war nicht anders als mit „Ja“ zu deuten.
Matt stand auf.
„Wollen wir noch einmal an den Strand gehen, die Abendsonne über dem Meer betrachten? In den nächsten Monaten wirst du sie hinter einer Skyline untergehen sehen.“
Er starrte aus dem Fenster und sein Gesicht wurde wie von einem unwirklichen Schein vergoldet. Dann legte er zwei Finger an den Hals.
Sophie erstarrte. Hatte sie richtig gesehen? War es Absicht gewesen oder nur eine zufällige Handbewegung? Sollte sie ihn fragen? Nein, entschied sie. Vielleicht hatte sie sich nur in ihrer Aufregung getäuscht.
Sie starrte ihm in die Augen, als könnte sie dort die Antwort lesen. Er gab ihren Blick zurück. Dann lächelte er.
Epilog
Maria hatte ihn durch den Sohn des Laternenanzünders holen lassen. Es hatte Ärger gegeben, was an sich nichts Neues war in der Hafenkneipe, die sie gemeinsam unterhielten. Es musste sich um etwas sehr Wichtiges handeln, denn mit den kleinen bis mittelgroßen Katastrophen kam Maria allein zurecht.
Mit schnellen Schritten durcheilte er die kleinen Gassen in Richtung Hafen. Seine große und durchtrainierte Figur, sowie seine dunklen entschlossenen Augen machten ihm den Weg frei. Kein Betrunkener, keine Dirne und auch sonst keine der verlorenen Seelen, die sich im Dunkel der Nacht hier herumdrückten, stellte sich in seinen Weg. Als er den schmiedeeisernen Türdrücker an der abgenutzten Holztür niederdrückte, fiel ihm als erstes die Stille auf. Die Kneipe war leer.
Mit geballten Fäusten und angespannten Nackenmuskeln betrat er vorsichtig die kleine Schankstube. Gerade wollte er ihren Namen rufen, da kam ihr kastanienbrauner Schopf hinter dem Tresen hervor.
„Alexander, gut dass du da bist. Komm her, es hat diesen Seemann hier schwer erwischt. Du weißt, wir können uns keinen Ärger mehr erlauben, sonst schicken sie uns von hier weg.“
Er seufzte und entspannte sich. „Vielleicht sollten wir sowieso gehen und woanders eine bessere Kneipe eröffnen.“
Langsam ging er um den Tresen herum. Am Boden saß der Seemann mit dem Oberkörper an eines der Fässer gelehnt. Er war von großer und grober Statur mit blonden Haaren und hellblauen Augen, die ihn flehend ansahen. Sein kantiges Gesicht war schweißbedeckt und sein weißes Hemd war in der Bauchgegend blutdurchtränkt. Auch seine Hose und der Boden waren blutverschmiert.
Maria legte eine Hand auf die Stirn des Mannes. „Ich glaube, er wird sterben. Was machen wir dann mit ihm? Er ist noch so jung.“
Alexander seufzte erneut. „Jedenfalls nicht hier liegenlassen. Versteht er unsere Sprache?“
Sie schüttelte den Kopf. „Er spricht ein paar Brocken von allen Sprachen, wie die Seeleute eben so sprechen können.“
Sich niederkniend nahm er die Hand des Mannes. Mit der anderen Hand hob er vorsichtig sein Hemd an. Ein Pfiff entwich Alexanders Lippen. Mehr war nicht notwendig, der Blonde hatte verstanden. Vielleicht spürte er es auch selbst, seine Zeit war abgelaufen. Unter Schmerzen und mit zittrigen Händen fingerte er einen Gegenstand aus seiner hinteren Hosentasche. Mit einem letzten Blick darauf übergab er es dem Wirt.
„Bitte, Sophie… ich…“ stöhnte er.
„Alexander, wir können ihn nicht sterben lassen. Entweder du tust es, oder ich werde es tun. Außerdem gefällt er mir.“ Maria klang entschlossen.
„Dann tu du es.
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