Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
vorn und spähte über den Rand. Dann bezog er dort Position. Als wenn Talia und Adam vorhätten, auf diesem Weg zu flüchten. Wohl kaum.
Die Geister, einer ein glatzköpfiger, untersetzter Mann, der andere eine große, schlanke Frau mit der anmutigen Haltung einer Ballerina, schlichen durch den Raum.
»Mein ganzes Leben über bin ich glücklich gewesen«, brummte der Mann. »Seit ich es mit dem Dämon zu tun habe, ist es mit meinem Glück vorbei. Jetzt ziehe ich immer den Kürzeren.«
Dämon.
Die Frau streckte die Hände aus, um sich in der Dunkelheit voranzutasten. Ihre Finger glitten flüchtig über die Schultern eines Soldaten, der doppelt so schwer war wie sie. Sie berührte zufällig seinen Mundschutz, ergriff ihn und benutze ihn, um ihn daran aus dem Weg zu befördern.
Der Soldat zuckte zusammen und schrie, doch die Dunkelheit verschluckte seine Schreie.
»Oh, ich werde dich nicht fressen«, höhnte die Geisterfrau und warf den Mann auf den Boden. »Das wäre ja gegen das Abkommen.«
Das Abkommen. Spencer. Custo.
Mit der Hand stieß die Frau gegen die lange Wand, die direkt in den Flur führte. Sie ging auf das Schlafzimmer zu.
Nichts da.
Talia griff das Messer, holte mit dem Arm Schwung und schleuderte die Klinge durch den dunklen Raum.
Talia konnte beim besten Willen nicht zielen, aber in den Schatten spielte das keine Rolle. Das Messer segelte in einem etwas unglücklichen Winkel durch die Luft und hätte die Geisterfrau vermutlich mit dem Griff an der Schulter getroffen. Aber Talia korrigierte den Kurs, bewegte die Schatten nach oben und drehte sie so, dass die Klinge sich in das linke Auge der Frau bohrte.
Kreischend krachte die Frau gegen die Wand und glitt lautlos nach unten, wobei sie sich an Spencer klammerte. Wie ein eng umschlungenes Liebespaar sackten sie gemeinsam auf den Boden. In der Stille war Spencers angestrengtes Atmen deutlich zu hören. Er richtete sich auf und krabbelte von dem Körper der Frau herunter, war aber zwischen Wand und Sofa gefangen. Er hatte sich fast befreit, als die Geisterfrau seinen Knöchel packte.
Regeneration machte hungrig. Die Frau zog die Klinge aus ihrem Gesicht, verteilte dabei weißes Gewebe auf Spencers schwarzer Kleidung und zog ihn an ihren weit aufgerissenen Mund. Er schoss und traf sie an der Schulter, aber der Schuss blieb ohne Wirkung. Die Geisterfrau erhob sich wie Phoenix aus der Asche und hatte Appetit auf ein gutes Frühstück. Als sie Spencer einen Kuss aufdrückte, gab der einen hohen, mädchenhaften Schrei von sich. Sein Körper zuckte, erschlaffte und brach zusammen.
Talia spürte, wie Spencer verblich, und erschauderte. Zu dumm. Was für ein Ende hatte er sich wohl vorgestellt? Das war jedenfalls das einzig Passende.
Als Spencer wie ein zusammengefallener Haufen auf dem Boden lag, setzte die Geisterfrau ihren Weg zum Schlafzimmer fort. Sie stand auf der Schwelle, als sie plötzlich erschrocken zurückwich. Ohne auf Hindernisse zu achten, krabbelte sie in den großen Raum zurück, rutschte auf den Glasscherben aus und stürzte rücklings aus dem Fenster.
Adam. Als Talia gerade in Richtung Schlafzimmertür schlich, kam er heraus. Sie kroch auf ihn zu, traf bei der Nische auf ihn und ergriff eine seiner blutverschmierten Hände. War das sein Blut? Sie trieb ihre Schatten um ihn. Der beißende Gestank von Blut hing wie Leichengeruch an ihm. Sie atmete durch den Mund und versuchte, nicht zu würgen.
Nachdem er wieder in Schatten gehüllt war, konnte Adam sie erkennen. Er war in den letzten fünf Minuten um zehn Jahre gealtert. Seine Augen verschleierten ein Gefühl, das sie nicht benennen konnte. Es strömte in sie hinüber – finster, von Kummer und Schmerz durchzogen, aber er schien seltsam ruhig und entschlossen. Sie traute dem nicht und stellte fest, dass sie seine Wut lieber mochte. Dieses neue Gefühl war schmerzhaft, so als würde sie innerlich ein bisschen sterben. Was auch immer er in diesem Raum vorgefunden hatte, es musste sehr schlimm gewesen sein.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie. Ihre Worte waren vollkommen unangemessen, aber sie wusste nichts Besseres zu sagen.
Adam sah sich in dem Raum um und beobachtete mit versteinerter Miene die langsam und blind herumstaksenden Soldaten sowie die übrig gebliebenen Geister.
Schließlich blieb sein Blick an Spencer hängen. Er verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen, bevor er sich abwandte. Spencer war Abschaum; er hatte es nicht verdient, dass man um ihn trauerte.
»Wir
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