Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
krächzte Talia. Sie konnte auf keinen Fall schreien. Aus Verzweiflung über ihre Schwäche zerriss sie die Schnürsenkel, die sie gerade zuband.
»Ich will nicht. Wenn du geheilt bist, dann … «
»Bis ich geheilt bin, ist Adam tot.« Talia stand auf. Wieso sollte ich ein Interesse daran haben, die Welt zu retten, wenn Adam nicht mehr da ist?«
Talia ignorierte Zoes entsetzte Miene, packte die Frau grob am Arm, machte sich auf den Weg zum Hinterausgang und zerrte sie hinaus in die Nacht.
»Wir können ihn nicht aufhalten«, behauptete Zoe.
»Mich auch nicht«, erwiderte Talia. »Wohin fahre ich?«
Als Zoe zögerte, packte Talia sie fester und schüttelte sie. »Wohin verdammt?« Ihre Stimme brach, und sie rang nach Luft.
»Die Fähre wartet an der Anlegestelle an der Neunundsiebzigsten Straße.«
»Welche Fähre?«
»Zur Styx . Das ist ein Boot, das Versteck des Todessammlers.«
Talia sammelte die Schatten um sich, während sie Zoe durch die schmale Gasse zur nächsten Straßenecke zerrte. Die Straße war alles andere als belebt. Dreckig, voller Abfall und zweifellos gefährlich. Eine Bande hing an einem mit Brettern vernagelten Eckgebäude herum. Ein paar Blocks weiter oben jagten Autos über eine befahrene Kreuzung. Dort konnten sie ein Taxi anhalten.
Die Kombination aus Wut und Schatten verlieh Talia die Kraft, die jammernde Zoe die drei Blocks bis zur Kreuzung mitzuschleifen. Sie hätte das Mädchen lieber im Klub zurückgelassen, wo sie in Sicherheit war, aber wer wusste, ob sie nicht entscheidende Kleinigkeiten ausgelassen hatte? Talia traute dem Mädchen keine Sekunde.
Adam im Übrigen auch nicht.
Dummer Kerl. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Einfach abzuhauen und sie mit einem Haufen verrückter Babysitter zurückzulassen. Wenn sie ihn fand und er nicht bereits tot war, würde sie ihn eigenhändig umbringen. Und wenn er bereits tot war, würde sie seinen jämmerlichen Geist aus dem Jenseits zurückrufen und ihn noch einmal umbringen. Dummer, arroganter Kerl.
Als Talia die Ecke erreichte, streckte sie ihre freie Hand in die Luft, während Zoe schmollte.
»Der Todessammler wird dich umbringen«, sagte Zoe. Sie klang störrisch und flehend zugleich. »Ich will nichts mit deinem Tod zu tun haben. Du kannst mich nicht zwingen mitzukommen.«
»Und ob du mitkommst.« Ein Taxi hielt am Straßenrand.
Talia öffnete die Tür und stieß sie grob hinein. »Wohin?«, fragte der Taxifahrer.
»Zum Hafenbecken an der neunundsiebzigsten Straße«, grummelte Zoe.
Der Fahrer schüttelte den Kopf. »Nein, die Damen. Der Mörder aus dem Riverside Park läuft immer noch frei herum. Da bringe ich euch nicht hin.«
Zoe formte mit triumphierendem Blick das Wort Geist . »Der Anleger liegt direkt am Park«, erklärte sie. »Jemand oder etwas darin jagt dumme Leute, die sich dorthin trauen. Da ist jetzt praktisch niemand mehr.«
Talia ignorierte den unterschwelligen Vorwurf. »Ich gehe direkt zum Anleger. Ich verspreche Ihnen, dass ich nicht im Park herumlungern werde. Mir passiert nichts.«
Der Mann zuckte mit den Schultern, fuhr los und fädelte sich in den Verkehr ein.
Zoe spähte über ihre Schulter hinweg zu Talia. »Ich weiß nicht, was du vorhast. Wie willst du Adam jetzt helfen? Du bringst die Welt um die Chance, den Todessammler zu vernichten. Das ist alles, was du erreichst.«
Talia lächelte. »Nein. Wenn Adam scheitert und wenn ich scheitere, dann gibt es immer noch eine Welt voller Menschen, die es selbst versuchen können, die ihr Leben opfern können, um den Dämon zu töten.« Das Sprechen kratzte schmerzhaft, wahrscheinlich ruinierte sie gerade den gesamten Heilungsprozess, an dem sie den Tag über gearbeitet hatte. Aber ihre Worte zeigten Wirkung.
Zoe erbleichte.
»Es stimmt. Jeder, selbst du, kann den Todessammler töten. Wenn du bereit bist, dich ihm zu stellen, kannst du mir so viele Vorträge halten wie du willst. Bis dahin halt den Mund und lass mich nachdenken.«
Okay. Ihr Schreien kam also nicht mehr infrage. Doch sie verfügte immer noch über ihre Schatten. Damit konnte sie zwar nicht den Dämon töten, aber vielleicht konnte sie Adams jämmerlichen – aber überaus attraktiven – Hintern retten, so wie er es einst mit ihrem Leben getan hatte. In der Gasse in Arizona hatte er sich unbewaffnet dem Geist gestellt, und sie waren mit dem Leben davongekommen. Jetzt konnte sie das Gleiche für ihn tun. Er sollte verdammt sein.
Das Taxi fuhr die Neunundsiebzigste Straße West
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