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Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande

Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Kellison
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hinunter, unter einer Unterführung hindurch, durch die der Verkehr tobte, und bog in eine breite, von Bäumen gesäumte Auffahrt ein, vermutlich lag dort der tödliche Riverside Park. Dahinter schimmerte der Hudson River wie ein schwarzes Band, auf dessen Wasseroberfläche die Lichter der Stadt funkelten. Sein fauliger, modriger Geruch zog in das Taxi.
    Eine Gänsehaut überlief Talias Rücken und bahnte sich ihren Weg bis zu ihrem Kopf.
    »Halten Sie hier«, sagte Zoe. Sie deutete auf eine Lücke in der Betonbegrenzung. »Geh die Stufen hinunter und folge dem Gehweg. Suche nach der Charon – sie liegt am Anleger ganz rechts. Die Verlassene , weil jeder weiß, dass man sich von ihr fernhalten sollte. Der Fährmann bringt dich zur Styx , aber bitte zwing mich nicht mitzukommen. Ich habe gesehen, wozu die Geister in der Lage sind. Ich will leben.«
    »Wenn du mir irgendetwas verschwiegen hast … «, begann Talia heiser.
    »Das habe ich nicht. Geh und stirb, wenn du willst, aber lass mich hierbleiben.«
    »Gut.« Talia stieg aus und schlug die Tür zu.
    »Hallo?«, fragte der Fahrer und lehnte sich aus dem Fenster. »Sind Sie sicher?«
    »Ja.«
    Talia sah sich nicht um, als das Taxi losfuhr. Sie folgte der Asphaltstraße bis zu den Stufen und eilte sie hinunter bis zu dem Asphaltrund auf der unteren Ebene. Dort lag, dunkel und verlassen, ein Café. Sie spürte die Stille des Ortes.
    Obwohl tief in ihren Umhang aus Schatten gehüllt, hämmerte Talias Herz, als sie den Bürgersteig hinunterlief und den unebenen Weg überquerte. Das Tor zum Pier stand offen, als wenn der Fährmann sie bereits erwartete.
    Klopfend stieß etwas gegen die Planken, ein einsames, hohles Geräusch. Genauso tönte ihr Herz.
    Am Ende eines Stegs stand ein Mann auf einen Stab gestützt. Sie konnte ihn nicht genau erkennen, aber den gebeugten Schultern nach zu urteilen, schien er sehr alt zu sein.
    Während sie auf ihn zuging, ließ Talia die Schleier los, die sie umhüllten.
    Als sie plötzlich vor ihm auftauchte, blinzelte der Mann, kaute aber ungerührt weiter auf seinem weißen Bart herum. Seine Haut war wettergegerbt und faltig wie eine braune Papiertüte. Er trug ein verblichenes kariertes Hemd, das deutlich zu warm für eine Sommernacht zu sein schien.
    »Hallo«, sagte sie.
    Er kaute.
    Talia runzelte die Stirn. »Ich muss zur Styx . Man hat mir gesagt, Sie könnten mich dort hinbringen.«
    Der alte Mann kaute weiter auf seinen Barthaaren herum. »Das kostet.«
    Verdammt. »Ich habe kein Geld dabei, aber ich komme morgen zurück und zahle Ihnen, was immer Sie verlangen. Versprochen.«
    Der alte Mann brummte. »Geben Sie mir eine Locke von Ihrem goldenen Feenhaar, und ich bringe Sie hinüber zur Styx .«
    Der Mann schien selbst einer Sage zu entstammen; Talia war nicht überrascht, dass er über ihre Herkunft Bescheid wusste.
    »Eine Locke von meinem Haar?«
    Er nickte und deutete auf ein Boot, dessen Sitzbereich im rückwärtigen Teil die Überdachung fehlte. Es war dreckig, eine rotbraune schmierige Kruste überzog die Rückbank. Wahrscheinlich Blut.
    Talias Magen krampfte sich zusammen, und ihr wurde übel. »Okay.«
    Der alte Mann zog ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche. Er fasste den Holzgriff, der so alt und abgenutzt war, dass er glänzte, und klappte eine Klinge heraus. Dann schnitt er eine Locke aus der Mähne auf Talias Schultern.
    »Fertig«, erklärte er und roch an den Haaren. »Steigen Sie ein.«
    Talia krabbelte hinunter in das Boot, setzte sich auf den Rand neben dem stinkenden Schmutz und klammerte sich verzweifelt fest.
    Der alte Mann ging zu einem schmutzigen Pult und startete den Motor. Dann lenkte er das Boot hinaus aus dem Schlick, fort von der vibrierenden Stadt und hinaus auf das wogende dunkle Wasser des Flusses.
    Jetzt gab es kein Zurück mehr.



20
    Die Charon ließ das funkelnde Ufer des Hudson hinter sich. Talia spannte ihren Körper an, denn der Motor vibrierte heftig, und das Boot hopste unruhig über das Wasser. Die Aufregung war ihr bereits auf den Magen geschlagen. Das Schaukeln des Bootes konnte sie nicht auch noch ertragen. Wenigstens fegte die Geschwindigkeit den widerlichen Gestank von Bord, der Wind peitschte durch ihre Haare und hüllte sie in einen erfrischenden feuchten Nebel.
    Sie fuhren auf das dunkle Wasser hinaus, auf dem vereinzelt die Lichter anderer Boote zu erkennen waren, kleinerer und größerer. Nachdem der Himmel hier nicht durch die Lichter der Stadt beeinträchtigt wurde, war er

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