Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
Protzige Stufen führten zu den von weißen Säulen gesäumten Eingängen.
»Okay, also noch einmal: Wo sind wir?«, fragte Talia schließlich.
Adam grinste. »In den Bergen von West Virginia. Segue agiert vom ehemaligen Fulton Hotel aus, einer Art Ferienanlage für die oberen Zehntausend aus der Zeit der Jahrhundertwende.«
Ihr Blick glitt von dem Gebäude zu ihm. »Die Sorte von Ort, die sie im Reisekanal vorstellen? Damen in weißen Kleidern, die auf dem Rasen Krocket spielen?«
»So in der Art. Zumindest bis zu der spanischen Grippeepidemie im Jahr 1918. Das Hotel stand vor dem finanziellen Ruin. Die nahe gelegene Höhlenanlage war anscheinend doch keine so große Attraktion, wie Theodore Fulton gedacht hatte. Als die Grippewelle das Hotel erreichte, wurde Fulton ebenfalls krank und starb kurz darauf. Seine Söhne gaben den Laden auf. Das Haus ging durch verschiedene Hände, bis es in den Besitz meiner Familie kam.«
Talia erhob sich aus dem Rollstuhl und trat langsam an den Rand der Terrasse. Adam folgte ihr wachsam.
»Wo es sich mit den Bedürfnissen von Segue vereinbaren ließ, habe ich versucht, die Überreste des Hotels wiederherzustellen. Den Kronleuchter in der Halle haben wir in einem Lagerraum im Keller gefunden, wo die Räuber und Vandalen, die das zwischenzeitlich leer stehende Gebäude plünderten, ihn übersehen haben müssen. Es war ein bisschen Arbeit, aber das hier kommt dem ursprünglichen Zustand ziemlich nahe.
»Es ist sehr … «, hob sie an.
Er trat an die Brüstung und musterte Talia von der Seite. Ihre weiße Haut leuchtete vor dem grünen Hintergrund. Die Nachmittagssonne tauchte ihre aschfahle Haut in ein zartes Rosa und einen Ton, der an goldfarbenen Marmor erinnerte. Ein paar blonde Haarsträhnen wehten von ihrer Schulter in ihr Gesicht und flatterten in der leichten Brise.
» … abgelegen«, beendete Talia den Satz.
Ein hübsches Profil.
Sie wandte ihm ihre schwarzen Katzenaugen zu und begegnete seinem Blick.
Sie sah ihn auf eine verstörende Art herausfordernd an.
Zeit, zum Thema zu kommen. Adam holte tief Luft. »Ich habe angefangen, mich mit Nahtoderfahrungen zu beschäftigen, und mich dabei an der umfangreichen Bibliografie am Ende Ihrer Arbeit orientiert.«
Sie wandte den Blick wieder ab und lehnte sich gegen die Balustrade, ihre gesamte Neugier und ihr Interesse wichen plötzlich einem harten Gesichtsausdruck.
»Nach allem, was ich gelesen habe, kommt es bei Nahtoderfahrungen häufig zu Begegnungen mit bereits verstorbenen Familienmitgliedern, manchmal auch mit Freunden, jedenfalls immer mit jemandem, zu dem die entsprechende Person eine enge Verbindung hatte.«
Talia schwieg und hielt den Blick in die Ferne gerichtet.
Er beobachtete jede ihrer Bewegungen und wartete angespannt auf eine Reaktion. »Ich verstehe nicht, wie der Schattenmann in das Nahtodszenario passt, es sei denn, es ist der Deckname einer Person, die weiß, wo die Bedrohung durch die Geister ihren Ursprung hat.« Ganz beiläufig stellte er seine Theorie vor: »Vielleicht handelt es sich um einen Geist, so einen wie der, der in Segue haust?«
Ihre Miene blieb unverändert.
Adam ließ nicht locker. »Das wäre gut vorstellbar. Jim Remy, unser Parapsychologe, ist verliebt in Segues Lady Amunsdale. Seit er einmal kurz ihre Schönheit gesehen hat, ist er wie besessen hinter ihr her. Ist der Schattenmann ein Geist? Jemand, der bereits gestorben ist, aber unsere Fragen beantworten kann?«
Wenn das der Fall war, mussten sie ihre Vorgehensweise drastisch dem Okkulten annähern. Ihm fehlte nur eine Bestätigung, ein Hinweis, irgendetwas, das ihm die Richtung wies.
Die Muskeln in Talias Gesicht spannten sich, aber sie beherrschte sich. »Ich werde Ihre Fragen nicht beantworten. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mich in der Gasse gerettet und sich um meine medizinische Versorgung gekümmert haben. Wenn das möglich ist, möchte ich gern in die nächste Stadt gefahren werden. Von dort komme ich dann allein weiter.«
»Das geht leider nicht«, entgegnete Adam. Er musste nur die Augen schließen, schon sah er wieder die computergenerierten Vorhersagen über die wachsende Geisterpopulation vor sich. In Wahrheit gab es an dem Thema nichts mehr zu diskutieren. Die Zeit war knapp. Er brauchte Informationen über den Schattenmann.
Ihr Kopf fuhr zu ihm herum. »Lassen Sie uns eines klarstellen – ich bin hier Ihre Gefangene.«
Nein, Gefangene wurden im Keller gehalten. Vielleicht wurde es Zeit, dass sie den
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