Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
unübersehbar zitterte, und schlug, drosch und hieb auf etwas ein. Aber auf was?
»Zoe!«, rief Layla.
Zoes Blick zuckte zu ihr, doch sie schien ihren Augen nicht zu trauen.
»Ich komme«, sagte Layla. Während sie vorwärtsdrängte, rissen die Dornen an ihrer Kleidung und zerkratzten ihre Arme.
»Sie sind überall!«, brüllte Zoe zurück. Sie umkreiste ihre Schwester, griff ihren Arm und zerrte sie fort von der unsichtbaren Gefahr.
Während Layla weiterlief, spähte sie in die umliegenden Bäume.
Komme, komme, komme , wisperten flüsternde Stimmen um sie herum. Doch sie konnte nicht erkennen, woher sie stammten.
Am Rande des Gebüsches spürte sie etwas Nasses in ihrem Nacken. Jemand leckte sie ab. Sie fuhr herum und fand sich einem großen dürren Wesen mit nach hinten gewandten Gliedern gegenüber, das sich über ihre Schulter reckte. Es erinnerte an eine betende Heuschrecke, war nackt und grau. Zwischen seinen Beinen baumelten menschliche Genitalien.
»Küss mich«, forderte es mit quäkender Stimme.
Layla taumelte und fiel auf die Lichtung. Der Aufprall versetzte ihr einen Schock und schreckte ein DutzendWesen auf, die um sie herum in die Luft sprangen.
»Was zum Teufel ist das?«, schrie Zoe.
Als Layla rücklings auf allen vieren vor dem Insektenmann flüchtete, stieß sie gegen den nächsten: blau, mit andeutungsweise menschlichen Gesichtszügen und einem knöchernen Schädel. Seine Augen leuchteten.
Komme, komme, komme, sagte er zu ihr.
Layla richtete sich taumelnd auf, doch jetzt war auch sie umzingelt. »Ich weiß es nicht.«
Es handelte sich um kuriose, deformierte Kreaturen mit menschenähnlichen Köpfen auf missgestalteten Körpern. Ihre Neugierde hatte etwas Raubtierhaftes. Ihre Augen funkelten, als hätten sie ein wundervolles Spielzeug entdeckt, und noch dazu eines, das sprach. Ihr Erstaunen verhinderte, dass sie alle gleichzeitig aufsprangen. Dies waren keine Schattenwesen. Doch was dann? Und so viele.
Laylas Atem ging schnell, ihr Herz schlug so laut in ihren Ohren, dass sie sich fast wünschte, es bliebe stehen, damit sie nachdenken konnte. Doch dann wäre sie tot, also lieber nicht.
»Schattenmann!«, schrie sie.
Die Wesen wichen etwas zurück. Diesen Moment nutzte Layla, um zu Zoe und Abigail zu gelangen. Sie standen Rücken an Rücken, doch Abigail schien zu nichts in der Lage zu sein.
Mit ihrer freien Hand griff Zoe Laylas Handgelenk. »Bist du hier?«
Layla wusste, was sie meinte. »Ja, ich bin es wirklich. Wir müssen durchhalten. Der Schattenmann rettet uns.«
Jeden Augenblick. Diese Wesen hatten auf die falsche Beute gesetzt.
Komme, komme, komme , sangen sie und rückten näher.
»Abigail … «, hob Zoe hilflos an.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Layla.
Der Schmerz in Zoes Stimme schnürte Layla die Brust zusammen. »Er kümmert sich auch um sie.«
Nur, dass es für Abigail kein Entrinnen gab. Ihr Körper wirkte verbraucht von ihrer enormen Gabe. Während sie unaufhaltsam schwächer wurde, hatte Segue ihr als Hospiz gedient. Wenn es irgendeine medizinische Hilfe gäbe, hätte Adam sie längst ermöglicht. Sie waren hier, weil Abigail gestorben war und die Zwielichtlande sie für sich beanspruchten.
Zoes angestrengtes Atmen ging in Schluchzen über. »Das ist nicht gerecht!«
»Ruhig«, flüsterte Abigail. »Lass mich gehen, Zoe-Baby.«
Zoe wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Nein. Wir stehen das zusammen durch. Bis zum Ende.«
Eines der Wesen klapperte in schnellem Rhythmus mit den Zähnen und griff mit knochigen Händen nach Layla. Sie wehrte es ab, doch die Berührung schwächte ihre Sinne. Sie kämpfte um ihr Gleichgewicht und blinzelte die Sterne vor ihren Augen weg.
Bevor Besserung eintrat, konnte sich das hier erst noch verschlimmern. Zoe musste hier raus. Und zwar sofort. Layla musste sie dazu bringen, solange es noch möglich war.
»Ich kümmere mich um Abigail«, bot Layla an. »Auch ich muss gehen.«
»Ich kann nicht. Sie ist alles, was ich habe.«
»Nein, du hast noch dein ganzes Leben vor dir. Wenn der Schattenmann kommt, musst du mit ihm gehen. Dieser Ort treibt dich in den Wahnsinn.«
»Sie ist meine Schwester .«Wieder dieser Schmerz in ihrer Stimme. Selbst wenn ihr Herz heilte, würde es für immer eine tiefe Narbe zurückbehalten.
»Ich glaube, ich hatte früher auch eine Schwester.« Laylas Herz trug ihre eigenen Narben.
»Hast du sie verloren?«
Layla konnte sich zwar nicht genau erinnern, doch das schien nicht zu stimmen.
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