Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)

blieb er?
    Ungelenk schwang Layla die Waffe, doch die Klinge glitt durch die Schattenwesen hindurch, als wären sie überhaupt nicht da.
    »Das kitzelt«, kicherte die nackte Frau. »mach das noch mal.«
    »Wir sind am Ende«, sagte Zoe. »Er kommt nicht. Er kommt einfach nicht!«
    Oder nicht schnell genug.
    Dann mussten sie Fäuste, Füße und Zähne benutzen. Sterbliche besaßen Macht. Layla musste sie nur entdecken.
    »Armes kleines Mädchen«, sagte die Scherenfrau. Sie streckte die Hand aus. Durch Laylas Wahrnehmung ging ein Beben, und plötzlich stand die Scherenfrau direkt vor Layla und streichelte ihre Wange. Aber nicht die der erwachsenen Layla, sondern die des einsamen, verlorenen Kindes. »Hier unter meinem Rock bist du sicher.«
    »Es geht schon, danke«, erwiderte Layla und taumelte angewidert zurück. Sie schüttelte den Kopf, um sich von der Vision zu befreien und wieder erwachsen zu werden. Sie verlor bereits ihren Verstand.
    Während die nackte Frau Abigail im Griff hatte, betatschte der Mann Zoe.
    »Ich möchte so vieles mit dir ausprobieren«, sagte er.
    Abigail heulte auf. Wie an geisterhaften Marionettenfäden zog die nackte Frau an Lichtstrahlen auf Abigails Haut. »Fühlt sich gut an.«
    »Wir bekommen so selten jemand, dessen Körper und Seele noch intakt sind«, erklärte die Scherenfrau.
    »Lass meine Schwester los!«, schrie Zoe.
    Layla ließ die nutzlose Sense fallen und stürzte sich auf die nackte Frau, die mit Abigail spielte. Sie purzelten auf den Boden, und das Wesen kreischte vor Vergnügen. Layla wollte sie ins Gesicht schlagen, doch die Scherenfrau packte ihr Handgelenk und zog sie mühelos nach oben. Layla trat wild um sich und schlug nach der Frau hinter sich, traf jedoch nur ins Leere. Es war zwecklos.
    »Nun, Kindchen«, schalt die Scherenfrau, »du gehörst mir, nicht ihr.«
    Layla war niemandes Kindchen.
    Die nackte Frau setzte sich rittlings auf Abigail, die mit zu Boden gegangen war. Stöhnend drehte Abigail den Kopf zur Seite. Layla registrierte, wie Körper und Licht miteinander verschmolzen. Genau wie bei Layla, als sie in der Gewalt des Gespenstes gewesen war, löste sich Abigails Seele von ihrem Körper. Er hauchte sein Leben aus, doch ihre Seele steckte noch immer zwischen den Beinen der nackten Frau.
    Zoe krabbelte über den Boden und versuchte, an die Sense zu kommen. Der Mann trat einen Augenblick zurück und bewunderte demonstrativ ihr Hinterteil.
    Sie mussten alle durchhalten, bis der Schattenmann kam. Kathleen war Expertin im Durchhalten gewesen, ganz bestimmt schlummerte dieses Talent auch in Layla.
    Während sie zusah, wie Abigail starb, raunte die Scherenfrau in ihr Ohr: »Du solltest auch schon tot sein.«
    »Nicht heute«, entgegnete Layla mit zusammengebissenen Zähnen und versuchte sich loszureißen. Gelassen hielt die Scherenfrau ihre Hände fest.
    Die nackte Frau, die immer noch auf Abigail saß, bog sich vor Lachen.
    Zoe griff die Sense. Schwer atmend stand sie mit der Waffe in Händen auf. »Geh von meiner Schwester runter.«
    Ein Wind strich durch die Bäume. Die nackte Frau sah fröhlich zu ihr herüber, sie wollte spielen.
    Der Boden begann zu beben. Layla, immer noch im Griff der Scherenfrau, machte sich auf etwas gefasst, doch Zoe schien nichts zu bemerken. Mit wütendem Blick schrie sie: »Du sollst von meiner Schwester runtergehen, habe ich gesagt. «
    Die Dunkelheit des Waldes zog sich zusammen. Die Sense glänzte. Das Beben entwickelte sich zu einem tosenden Erdbeben. Selbst die Scherenfrau wich zurück, zog Layla jedoch mit sich. Als Zoe sich auf die nackte Frau stürzte, verdichteten sich die Schatten um sie herum.
    Mit jedem Schritt verdunkelten sich Zoes Augen. Ihr wutverzerrtes Gesicht ähnelte auf einmal dem der Schattenwesen mit ihren schräg stehenden Augen. Ihre heftigen Gefühle strömten aus ihren Poren, und sie begann, unheimlich zu leuchten.
    Die Zwielichtlande waren ein Ort der Gefühle, sowohl dunkler als auch heller, und in Zoe tobten beide Extreme. Die Macht der Sterblichen. Layla war bewusst, dass sie eine Verwandlung erlebte.
    Zoe schwang die schwere Waffe. Während des Schwungs verwandelte sie sich und passte sich ihrer neuen Besitzerin an. Als Zoe der nackten Frau mit der Sense das Lachen aus dem Gesicht schnitt, bildete die Waffe einen Teil von ihr, den sie mit Wut und Liebe lenkte. Die Schattenfrau löste sich in eine Wolke auf.
    Zoe drehte sich schwungvoll zu dem männlichen Schattenwesen um. Erschrocken und verwirrt