Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
Laylas Gehör zurück.
Adam zog eine Schublade heraus und griff eine Handfeuerwaffe. »Wo ist er?«
Er suchte nach einem Geist oder Wicht. Layla schüttelte den Kopf. »Die Schatten kommen. Ein Meer aus Schatten. Schrei!«
»Das nutzt nichts«, erklärte Talia und drückte ihr Baby fest an ihre Schulter. »Damit mein Vater mich hört, muss ich einem lebenden Toten gegenüberstehen. Aber wenn es Schatten sind, sollte uns nichts passieren. Ich schütze uns.«
»Das sind nicht nur Schatten. Das sind die verdammten Zwielichtlande .« Wo waren die Geister, wenn man sie brauchte?
Ein heftiger Tsunami rollte auf sie zu. Seine Kraft erschütterte Layla bis ins Mark. Die Farben verschwammen, wirkten prächtig und zugleich schrill und gemein.
»Was soll ich tun?«, fragte Adam mit rotem Gesicht, seine Adern traten hervor. Das Kind in seinen Armen schrie verwirrt, das in Talias lachte.
»Abigail stirbt.« Als sie Zoes erbärmliches Schluchzen aus dem ohrenbetäubenden Lärm der Magie heraushörte, schnürte sich Laylas Brust zusammen. Wenn die Magie der Zwielichtlande Talia und die Babys erfasste, waren auch sie für die Welt verloren. Oh, Gott. »Lauft!«
Layla rannte zur Wohnungstür, die in jenem Augenblick von der Magie aufgestoßen wurde. Sie hielt sie weit auf, damit Talia und Adam hinauslaufen konnten. Im Flur wirbelten trockene Blätter in märchenhaftem Gold umher. Ein berauschender, exotischer Duft erfüllte die Luft und vernebelte ihren Verstand. Erneut begriff Layla, dass sich Segue an der Nahtstelle zwischen dieser und der nächsten Welt bewegte, der Gegenwart und der Vergangenheit, der Fantasie und dem Untergang der Welt.
»Sieht normal aus«, sagte Talia, klang aber besorgt.
Es blieb keine Zeit, sie zu überzeugen. Layla griff sie am Arm, zerrte sie hinaus in den Flur und schob sie in Richtung Fahrstuhl. »Du musst hier weg, oder sie nehmen auch dich und die Kinder mit.«
Endlich setzte sich Adam in Bewegung. Er rannte den Flur hinunter. Mit einer Hand auf seinem Rücken drängte Layla ihn voran. Der Flur dehnte und drehte sich, doch davon schienen Adam und Talia nichts zu bemerken. Sie liefen nur, weil Layla sie warnte.
Flüsternde Stimmen von süßem Klang flehten Layla an zu warten, zu bleiben, zu verweilen. Sie verlangsamte ihren Schritt und drehte sich zu den dunkel wirbelnden Schatten um. Sie wusste, dass hinter dem Sturm die Bäume warteten.
Endlich sah Talia sich ängstlich und ehrfurchtsvoll um.
»Talia!«, schrie Adam. Er hatte die Treppen erreicht und hielt mit seinem Körper die Tür auf. Das Treppenhaus bestand aus einem heulenden Abgrund, die Stufen führten schwankend nach unten. Der einzige Ausweg.
In der Ferne hörte Layla Zoes Weinen. Es klang jetzt erstickt, als vergrübe sie ihr Gesicht in den Händen. Die Schwestern hingen an einander.
Etwas an der Situation schien ihr vertraut, zu vertraut. Da Layla keine Geschwister hatte, musste es mit ihrem vorherigen Leben zu tun haben, in dem sie von einer Schwester dasselbe herzerweichende Geräusch gehört hatte. Wie angewurzelt blieb sie stehen.
Adam hatte den Arm um die Taille seiner Frau gelegt. »Komm, Layla!«
Doch sie konnte Zoe nicht zurücklassen. Dieses Geräusch, dieses jämmerliche Klagen, fesselte sie. Noch eine letzte Tat.
Außerdem war es auch für sie an der Zeit, die Grenze zu überschreiten. Das war allen bewusst. Auch dem Schattenmann. Sie blickte in Richtung Westflügel. Dort spukte ein böses kleines Mädchen umher, doch das interessierte Layla nicht.
Eigentlich wollte sie den Schattenmann nicht zwingen, doch die Zeit der Entscheidung war vorüber.
»Verschwindet hier«, sagte Layla und blickte sich nach Talia um. Der wunderschönen Talia. »Ich kümmere mich um Zoe.«
»Dann kannst du nicht mehr zurück«, sagte Talia mit ängstlichem, ahnungsvollem Blick.
»Ich weiß, was ich tue«, erwiderte Layla. Sie hoffte, dass sie mit ihren Augen ausdrückte, was sie eigentlich gern gesagt hätte – vor allem den Satz: »Ich bin so froh, dass ich dir begegnet bin«, der ihr das Herz zerriss. »Und vermutlich werde ich nicht zurückkommen.«
Der Schattenmann musste ihr folgen. Er würde nicht zulassen, dass sie verrückt wurde, und seine Sense zur Hand nehmen. Vielleicht hatte es immer so sein sollen.
Zoes Schluchzen erstarb, einen Augenblick herrschte Stille, dann schrie sie voller Panik.
Layla rannte zu ihr.
15
Inmitten wogender Schatten kauerte der Schattenmann vor dem Tor. Vor ihm lag der Hammer, neben ihm
Weitere Kostenlose Bücher