Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
ersten Stock. Mit Talia Thorne. Wow. Layla konnte es immer noch nicht fassen.
Die wenigen Stunden unruhigen Schlafs hatten nicht gereicht, ihre Erschöpfung zu lindern, doch die Verabredung munterte sie erheblich auf.
Talia hatte ihr den Schock ihres Lebens versetzt – eine Seelenverwandte. Sie hatte so etwas bislang für ein Märchen gehalten. Doch wenn sie an die letzte Nacht dachte, schlug ihr Herz einen heiteren Off-Beat. So etwas hatte sie noch nie empfunden.
Schwieriger fand sie die Vorstellung, dass es für das Geisteraufkommen eine übersinnliche Erklärung gab, und nicht wie sie immer geglaubt hatte, eine wissenschaftliche. Offenbar hatte sie sich bei ihren Artikeln stark von ihren persönlichen Vorurteilen leiten lassen. Der Gedanke beschämte sie. Und sie hatte sich für so überaus objektiv gehalten. Sie musste ihren Redakteur bitten, den letzten Artikel nicht zu veröffentlichen.
Layla hatte gehofft, ein paar Akten einzusehen, doch Talia sagte, sie müsse ihr erst an einem der interaktiven Computer einen Zugang zu Segues Datenbank einrichten. Vorerst musste sie ganz altmodisch die Texte in den Regalen durchforsten und ein paar Angestellte interviewen, die bereit waren, ihre Forschungsergebnisse mit ihr zu teilen. Dr. Sike mit der Arbeit über die Regeneration von Geisterzellen stand ganz oben auf ihrer Wunschliste.
Sie wollte sofort anfangen, konnte den Blick jedoch nicht von dem Gemälde losreißen, das in der Bibliothek über dem Kamin hing. Auch nicht, um sich an den knisternden Flammen darunter zu erfreuen, die nichts daran änderten, dass es in dem Raum ziemlich kühl war.
Die Leinwand zeigte unendlich viele knorrige alte Bäume, von denen ein magisches Licht ausging. Obwohl Textur und Farbe unmittelbar den Pinselstrich erkennen ließen, verlieh die künstlerische Ausführung dem Wald eine unheimlich realistische Tiefe.
Während Layla auf die Zweige starrte, stockte ihr der Atem, ihr Körper vibrierte und ihre Nerven knisterten. Das waren die Bäume aus Khans Spiegel, durch die sie in seinen Armen geglitten war, als sie das Schattenreich passiert hatte. Doch sie hatte diesen Ort bereits häufig in ihrem Leben gesehen, meist allerdings dunkler. Gott sei Dank hatte ihn noch jemand anders wahrgenommen. Der Beweis hing direkt vor ihr.
Layla legte den Kopf schräg. In der Nähe weinte ein Kind. Das musste eines von Talias Babys sein, doch bei jedem Schrei raschelten die Blätter der magischen Bäume. Wie Khans Spiegel lebte auch das Gemälde.
Sie blickte in die Ecke der Leinwand. Kathleen O’Brien stand dort in geschwungenen Lettern. Talias Mutter. Deshalb hing es hier und nicht in irgendeiner Galerie, um der Welt zu beweisen, dass Layla nicht verrückt war. Talia wachte über ihre Mutter.
Layla trat zurück und zwang sich, den Blick abzuwenden, sonst hätte sie noch den ganzen Tag darauf gestarrt.
Die Bibliothek mit ihren schweren dunklen Holzregalen wirkte altmodisch. Bücher mit verblichenen Buchdeckeln reihten sich aneinander. Der Geruch von altem Papier überlagerte den des verbrannten Holzes aus dem Kamin. Auf drei kleinen ordentlichen Schreibtischen standen Laptops zur Benutzung bereit. In der Mitte des Raumes konnte man seine Unterlagen auf zwei großen Tischen ausbreiten.
Am besten fing sie gleich an.
Als sie die Finger über die ersten Buchrücken gleiten ließ, tauchte zwischen den Regalen ein alter Mann mit wirrem Haar und einem weißen Bart auf. Über seine gebügelte Freizeithose schob sich ein kleiner Bauch, in der Hand hielt er ein paar Bücher. Während er auf sie zukam, rückte er seine Lesebrille auf die Nasenspitze und musterte sie aufmerksam.
»Sie wollen sicher hiermit beginnen«, sagte er.
»Wie bitte?« Layla unterdrückte den Impuls, sich umzudrehen und nachzusehen, ob er mit jemand anderem sprach.
»Als Hintergrundinformation. Eins davon ist von mir. Es enthält den besten Rückblick auf das Thema, das Sie interessiert. In den Regalen stehen bloß schlampige Arbeiten.«
Er reichte ihr die Bücher, und sie las die Titel: Die Seele des Menschen in der Philosophie und sozialen Anthropologie sowie Relativismus und Rationalismus in der paranormalen Linguistik . Nun, sie wollte ihrer Arbeit ja eine neue Richtung geben.
»Danke.« Sie hasste es, sich vorzustellen. »Ich bin übrigens Layla Mathews. Ich bin neu hier.«
»Nicht ganz so neu, wie man hört.« Er streckte ihr die Hand entgegen, und sie ergriff sie. »Ich bin Dr. Philipp James. Talia hat mich gebeten,
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