Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
sah ihm durchdringend in die Augen, bis er antwortete.
Sein Lächeln verblasste. »Ich hätte da sein sollen, um dich zu beschützen.«
Dann war er in ihrem Kopf gewesen. »Kannst du auch Gedanken lesen?«
»Nein.« Er trat nach vorn, verschob dabei die bunten Farbflecken auf der Leinwand und hockte sich nah an den Bildrand. Aus dieser Entfernung erkannte sie die Pinselstriche auf seiner Haut, die feinen Linien, aus denen sein Haar bestand, und die Wirbel, die seine Schatten darstellten. »Das ist Sache der Engel. Aber ich spüre, was du empfindest – dass du dich einsam und allein fühlst, selbst unter Menschen.«
Seine tiefe sanfte Stimme berührte sie, und obwohl er in dieser Hinsicht eigentlich keine Unterstützung benötigte, verliehen ihm die Farbflecken eine romantische Aura. Er gehörte in diese Bäume und irgendwie fühlte sie sich zu diesen raschelnden Zweigen hingezogen. Es war eine Fantasie, und die damit verbundene Sehnsucht verwirrte sie. Wieder einmal.
»Hör auf damit.« Ihre Gefühle gehörten ihr. »Bei diesen vielen übersinnlichen Fähigkeiten erleide ich noch einen Nervenzusammenbruch. Und übrigens: Ich bin gern allein.«
Er hob eine Braue, nicht unbedingt als machte er sich über sie lustig, aber doch so, als wüsste er es besser. »Gefühle durchdringen die Schatten, deshalb spüre ich die Wahrheit. Wenn du mich nicht in deinen Träumen haben willst, schließ mich aus. Das kannst du.«
Gefühle durchdringen … ? Nun, dann musste er spüren, dass sie wütend war. »Muss ich einfach nur sagen ›Geh weg‹?«
»Das genügt.«
»Dann … « Sie hielt inne. Eigentlich hätte sie ihn sofort aus ihren Träumen verbannt, doch der Albtraum von Joyce verfolgte sie schon seit Jahren. Die Hoffnung auf ein schönes Zuhause. Das Eindringen der dunklen Gestalten. Das Blut. Sie konnte ihn nicht einfach ausschließen.
Wieder zitterte Layla. Am besten wechselte sie das Thema.
Mühsam sammelte sie ihre Gedanken, dann konzentrierte sie sich auf das Nächstliegende. »Ist das Gemälde verzaubert? Oder dient es bloß als weiterer Zugang zu deiner Welt?«
»Du weißt von meiner Welt?« Er wirkte sehr, sehr ernst. Und kein bisschen furchteinflößend.
Layla straffte die Schultern. »Das hat Talia mir erzählt. Sie hat gesagt, dass du ein Schattenwesen bist und deine Gattung im Schattenreich lebt, in der Welt zwischen Sterblichkeit und Jenseits.«
Sein Blick verfinsterte sich noch stärker. »Hat sie noch mehr gesagt?«
»Nein«, log sie. Es schien ihr ratsam, heikle Themen zu meiden. Zum Beispiel den Hinweis, dass sie und Khan einst ein Paar gewesen waren. »Nun, wegen der Geister … «
»Layla.« Khan senkte die Stimme. »Was hat sie gesagt?«
Sie zuckte zusammen. Sie konnte es genauso gut hinter sich bringen. Wenn sie mit ihrer Arbeit vorankommen wollte, mussten sie das ohnehin klären. »Sie hat gesagt, dass du und ich … «
Die Anspannung in seinem Gesicht ließ nach. Dann lächelte der große, gefährliche Mann. »Ja. Du und ich . Genau.«
Etwas an seiner Art zu sprechen trieb ein fiebriges Brennen über ihre Haut. Dass sie so stark reagierte, musste mit ihrer Erschöpfung zu tun haben.
»Diese Worte haben uns verbunden«, fuhr er fort.
Layla schluckte. »Verheiratet?«
»Genau. Du gehörst mir.«
Nein, nein, nein. Ty war der Einzige, den sie beinahe geheiratet hätte, und sie hatte von Anfang an gewusst, dass das nicht richtig war. Sie wollte an ihrem Verlobungsring herumnesteln, doch er saß nicht auf ihrem Finger. Nur ein weißer Streifen auf ihrer Haut erinnerte an ihn. »Ich bin nicht verheiratet.«
»Vielleicht erinnerst du dich nicht mehr an das, was zwischen uns geschehen ist. Aber ich schwöre dir, dass wir zusammen waren, uns auf unsere Art die Treue geschworen und ein Leben gezeugt haben.«
Sie schüttelte den Kopf. Nein. Doch wenn sie ehrlich war, hatte sich ihr Körper vom ersten Augenblick an ihn erinnert. Als er sie gegen jenes schreckliche Tor gedrückt hatte. Und Talia hatte das letzte Nacht bestätigt.
»Ein Leben?«
Ihr schwante etwas. Herzlich willkommen in der Familie , hatte Talia gesagt. Layla hatte angenommen, dass Talia nur höflich sein und sie aufmuntern wollte. Steckte etwa mehr dahinter?
Bloß nicht. Ihr ganzes Leben über war das Wort Familie für sie negativ besetzt gewesen, ein leeres Versprechen. Ein Scherz. Nun, als Erwachsene, war es ihr noch immer nicht gelungen, eine zu finden.
Ihre Zweifel wichen kalter Wut. Sie war so dumm. Wie hatte sie
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