Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
nur darauf hereinfallen können? Erst gestern dieser seltsame Quatsch, dann Talias mitfühlende Erklärung, und jetzt waren sie angeblich verwandt? Nein. Das schien ihr völlig abwegig. Man nehme ein Waisenkind und behaupte, es sei ein lang verloren geglaubtes Familienmitglied. Allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass es sich in diesem Fall nicht um ein Kind, sondern um die Mutter handelte? Nein. Darauf fiel sie nicht herein. Was hatten sie vor?
Ihren Artikel zu manipulieren. Das musste es sein.
Aus dem Gemälde streckte Khan die Hand nach ihr aus. Eine Schattenwelle schwappte aus der Leinwand, in der Luft schwebte ein aus Rauch geformter Arm, der ihre Wange streicheln wollte.
Sie wich zurück.
»Glaub mir«, bat er.
Sie dachte an das Tor. Wenn sie aufmerksam lauschte, konnte sie immer noch das Klappern hören. Kat-a-kat , rief es nach ihr. Sie hatte ihre Hand auf den Griff gelegt. Und dann war Khan aufgetaucht und hatte sie überaus erfreut und sehnsuchtsvoll angesehen. Er kannte sie. Seine Frage, wie sie ihn gefunden hatte. Wie hatte er sie genannt?
»Kathleen.« Laylas Herz setzte aus. »Du glaubst, dass ich Kathleen bin.«
Als sie vor ihm zurückgeschreckt war und erklärt hatte, wer sie war und wieso sie sich dort aufhielt, hatte er ihren Kopf mit seinen Illusionen gefüllt. Er hatte alles gesagt, was sie hören wollte, und ihr ein erstklassiges Interview mit der schwer zu fassenden Talia Thorne versprochen. Nachdem Adam sie noch kurz zuvor mit aller Macht hatte loswerden wollen, genügte ein Gespräch, damit er sie mit offenen Armen in Segue aufnahm.
Kathleen O’Brien. Talias Mutter.
Nein.
Wie lächerlich.
Sie versuchten, sie unter Kontrolle zu halten.
»Lass mich.« Sie schlug nach dem Schatten, der immer noch in der Luft schwebte.
»Was glaubst du, wieso du dich von diesem Ort so angezogen fühlst? Wieso setzt du dich der Gefahr durch die Geister aus, wenn du ganz andere Dinge mit deinem Leben anfangen könntest?«
Das musste sie sich nicht anhören. »Ihr seid total verrückt.«
Layla sammelte die Bücher ein. Sie würde zurück in ihr Zimmer gehen und in Ruhe über die nächsten Schritte nachdenken.
»Layla!«
Hastig lief sie den Flur hinunter. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte sie genug erlebt, um zu wissen, dass neben dieser Welt noch etwas anderes existierte. Und sie irgendetwas damit zu tun hatte.
Aber das war zu viel. Zu persönlich.
Der Flur verdunkelte sich, doch sie ignorierte es. Ignorierte ihn . War es etwa möglich, eine Beziehung zu diesem … Wesen zu haben?
Als sie um die Ecke zum Fahrstuhl bog, kam Talia ihr entgegen. Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Wohin gehst du?«
»Ich habe etwas in meinem Zimmer vergessen«, murmelte Layla. Erneut flammte der Schmerz in ihrer Seele auf. Sie hielt die Luft an, aber es nutzte nichts. Talia. Ihre Tochter aus einem anderen Leben? Klar.
»Dann sehen wir uns gleich hier … ?«
»Ja, sicher«, log Layla und drückte den Knopf des Fahrstuhls.
Während sich die Türen des Aufzugs schlossen, bildeten sich feine Sorgenfalten zwischen Talias Brauen. Damit musste sie zurechtkommen. Sollte sie doch ihren Vater fragen, was los war. Soweit Layla wusste, befand er sich noch dort unten.
Oder, oh Gott, vielleicht stand er neben ihr im Fahrstuhl.
Sie schlang fest die Arme um ihren Körper.
Sie musste Zoe finden. Zoe hasste die Thornes. Das war offensichtlich. Wenn sie von jemandem eine ehrliche Antwort erwarten konnte, dann von ihr. Obwohl … sie ihr den Tipp mit Khan überhaupt erst gegeben hatte. Gab es wirklich eine kranke Schwester?
Als sich die Fahrstuhltüren öffneten, ging sie den Flur rechts statt links hinunter. Richtung Westflügel.
Layla wollte sich selbst überzeugen.
»Was hast du getan?« Langsam drehte sich seine Tochter zu den Schatten im Flur herum. Ihre Panik wirbelte um sie herum und riss an ihren hellen Haaren.
Was ich getan habe? Ich habe ihr die Wahrheit gesagt.
»Sie ist gerade erst hergekommen!«
Und schon bald wird das Schicksal sie mitnehmen.
Ein Mann trat aus seinem Büro, erbleichte aus Angst vor dem tosenden Sturm und zog sich sofort wieder in sein Zimmer zurück.
Talia biss die Zähne zusammen und stieß mit erhobenem Zeigefinger hervor: »Das ist eine Familienangelegenheit. Du kommst jetzt mit in meine Wohnung. Ich werde auf keinen Fall zulassen« – ihre Stimme nahm den markerschütternden Klang der Todesfee an –, »dass du mir das verdirbst.«
Sie wandte sich zum
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