Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
dem anderen Soldaten, der etwas an seinem Hals berührte und Zahlen vor sich hinmurmelte, mit denen Rose nichts anfangen konnte. Es musste sich um eine Art Code für Ärger handeln, denn als nächstes dachte er, dass in neunzig Sekunden Verstärkung eintraf. Überleben , dachte er. Was er mit Geist meinte, wusste sie nicht.
Was war ein Geist? Es klang nicht freundlich, vor allem nicht in Bezug auf sie.
»Wenn Sie nur bitte das Tor öffnen würden.« Rose legte den Kopf schief, lächelte und klimperte mit den Lidern. Sie drang in seinen Geist ein und trieb ihn an. Wenn sie nicht aufpasste, brach sein Verstand. So war es dem armen Idioten ergangen, der sich geweigert hatte, ihr den Lieferwagen zu geben. Dann würde er sich in ein sabberndes Baby verwandeln, was ihr überhaupt nichts nutzte.
Kat-a-kat-a-kat-a-kat.
Ja, ja. Sie versuchte es ja. Manche Dinge brauchten Zeit, erforderten Feingefühl. Etwas raschelte in den Bäumen entlang der Straße. Die Verstärkung?
Wenn der Soldat doch bloß kooperierte …
»Ich habe eine große Lebensmittellieferung im Wagen.« Sie mischte ihrem Satz etwas Wahrheit bei und drängte seinen Geist stärker. »Bitte öffnen Sie das Tor.«
Der Soldat blinzelte sie dümmlich an. »Das kann ich nicht. Der Befehl zur Verriegelung ist bereits raus. Bevor Adam Thorne sie nicht aufhebt, kommt niemand rein oder raus.«
Kat-a-kat-a-kat-a-kat.
Ohne das Tor in ihrem Kopf könnte sie deutlich besser denken. Sie drängte den Soldaten heftig. »Okay. Gibt es eine andere Möglichkeit hineinzukommen?«
Er schwankte. »Verriegelung.«
Der zweite Soldat trat zu ihnen. »Sullivan, du bist von deiner Aufgabe entbunden.«
Rose vermutete, dass ihre Zeit abgelaufen war. Das Tor musste warten, genau wie das Mädchen, um das sie sich kümmern sollte. Rose würde über einen anderen Zugang nachdenken und zurückkommen. Vielleicht konnte sie sich durch den Wald anschleichen und über die Mauer klettern. Jetzt schien es jedenfalls besser, sich zurückzuziehen als hier zu warten und herauszufinden, was ein Geist war und was die Verstärkung mit ihm anstellte. Sie hatte keine Lust, sich von allen Seiten beschießen zu lassen.
»Mike!«, schrie der Soldat, als der andere vor ihrem Wagenfenster auf dem Boden zusammensackte. Gehirne waren so empfindlich.
Mit dem sperrigen Anhänger konnte sie weder auf der schmalen Straße wenden noch rückwärts den Berg hinunterfahren. Sie würde geradewegs in den Abgrund stürzen. Das wäre das Ende von Rose Petty. Das wollte niemand.
»Zeigen Sie mir Ihre Hände!«, schrie der Soldat sie an. Weitere Soldaten in seltsamen Panzern kamen immer zu zweit auf den Wagen zu. Das hatte ungefähr neunzig Sekunden gedauert, alles klar.
Meine Güte, die machten ja vielleicht einen Wirbel.
Ihre böse Hand zuckte. Schon gut, schon gut. Sie musste das auf die harte Tour regeln.
Am späten Nachmittag führte Layla Talia um den Westflügel des riesigen Gebäudes herum. Nachdem Talia ihr ein Baby in den Arm gelegt hatte, wollte sie es nicht mehr hergeben. Beide Kinder, Michael und Cole, waren wundervolle Schätzchen, so weich, so vollkommen. Sie in ihren Armen zu halten, den süßen Geruch ihrer Haut zu riechen, besaß eine ganz eigene Magie, die sie vollkommen faszinierte.
Layla hatte so viel Zeit mit den Babys verbracht, dass sie nur einen kurzen Blick auf das Material werfen konnte, das Talia für sie zusammengestellt hatte. Obenauf lag ein Notizbuch mit der Aufschrift Jacob Andrew Thorne, Geist . Und Layla hatte gedacht, Adams Bruder sei bei einem tragischen Bootsunglück ums Leben gekommen. Ganz bestimmt eine interessante Lektüre. Wäre sie wegen des Schattens an dem Gebäude nicht etwas panisch gewesen, hätte sie die Akte sicher gelesen.
Talia. Die Babys. Sie musste sich um den Schatten kümmern, bevor etwas passierte.
Die Fotoaktion führte sie über die breite Vordertreppe nach unten und links am Gebäude entlang. Kev und sein Begleiter folgten zu ihrem Schutz dicht hinter ihnen. Ein Baby in einer Art Tasche vor die Brust geschnallt, das andere im Kinderwagen schaukelnd, beobachtete Adam sie mit finsterem Blick von der Veranda aus. Mr. Thorne Industries in der Rolle des Vaters. Beinahe hätte sie für Talia ein Foto von ihm geschossen.
Bei der Erinnerung an den fliegenden Geist überlief eine Gänsehaut Laylas Nacken, doch sie übernahm die Führung und schritt voran. Sobald sie um die Ecke des Gebäudes bog, versperrte ihr der Sturm aus Schatten die Sicht. Geduckt wich
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