Zwielichtlande: Schattenmann (German Edition)
sie ein paar Schritte zurück, woraufhin der Rest der Gruppe sie anblickte als sei sie verrückt.
»Ihr seht es nicht.« Offensichtlich. Sonst stünden sie nicht so dicht neben dem Schatten.
Talia blickte auf, blinzelte und sah sich um. »Wo genau?«
Hallo? Überall . Layla holte tief Luft. »Siehst du keine Schatten?«
»Die kleinen unter den Fenstern?« Talias Atem bildete Wölkchen in der kühlen Luft.
»Nein. Ein riesiger Schatten, der die Hälfte des Gebäudes bedeckt. Gott, ich kann ihn sogar fühlen .«
Talia sah sie mitleidig an. Freundlich, aber ungläubig.
»Er ist da«, sagte Layla und hob die Kamera. Eine Nikon D40. Ein gutes Gerät, aber nicht so gut wie ihres. »Dieser Schatten beschäftigt mich, seit ich in eurem Wald herumgeschlichen bin.«
»Layla, ich kenne mich mit Schatten aus«, sagte Talia. »Wenn hier etwas Ungewöhnliches wäre, würde ich es sehen.«
Layla musste es ihr erklären. »Als Jugendliche habe ich eine Art Internat für benachteiligte Jugendliche besucht. Northfield.« Sie schaltete die Kamera auf manuelle Bedienung um und stellte die Belichtung auf maximalen Kontrast ein. »Dort habe ich einen Fotokurs besucht. Der Lehrer erzählte uns etwas über Perspektiven. Er erklärte uns, dass jeder Mensch seine eigene Sichtweise besitzt. Dass wir alle die Welt ein bisschen unterschiedlich sehen.«
»Das ergibt keinen Sinn«, sagte Kev. »Eine Kamera fängt ein, worauf sie gerichtet ist.«
Typische Antwort.
»Über die Perspektive entscheidet nicht das, was sich vor der Kamera befindet, sondern das Auge, das durch sie hindurchsieht.«
Für die sechzehnjährige Layla war diese Erklärung ein Aha-Erlebnis gewesen. Vielleicht lag es nur an ihrer Perspektive, dass sie so viele gruselige Sachen sah. Vielleicht musste sie nur lernen, die Welt auf andere Weise zu betrachten, und die beängstigenden Visionen hörten auf. In gewisser Weise hatte das bis heute funktioniert.
Kev runzelte die Stirn. Talia schien das Ganze unangenehm zu sein.
»Das ist ganz einfach: Ich fotografiere das, was ich sehe, und für mich ist Segue halb von Schatten verdeckt. Wetten, dass ich das auf Film festhalten kann?«
Layla legte sich auf das gefrorene Gras, die Kälte kroch durch ihr Sweatshirt auf ihren Rücken.
Talia ging neben ihr in die Hocke, während Kev zur Seite trat, um in sein Funkgerät zu sprechen.
Das Bild erforderte etwas Licht, das den Schatten sowie den klaren blauen Himmel darüber kontrastierte. Wenn sie richtig gut war, schaffte sie es vielleicht auch noch, die Anmutung eines Schlosses einzufangen. Denn so wirkte Segue auf sie. Sie atmete ein, um die tiefe Dunkelheit und das frische Weiß aufzunehmen. Das Blau darüber betonte jenen Gegensatz, nicht nur was den Kontrast anging, sondern auch Textur und Tiefe.
Sie machte eine Aufnahme, änderte den Winkel, korrigierte die Belichtung und schoss ein weiteres Foto. Dann spannte sie noch einmal. Sie konnte erst sicher sein, wenn sie die Bilder heruntergeladen hatte, aber sie glaubte, das Bild im Kasten zu haben.
Plötzlich tauchten verwischte Bewegungen vor dem Sucher auf, dann riss sie jemand nach oben.
»He!«, schrie sie, während sie nach der Kamera griff. Kev verfügte über bessere Reflexe, fing das Gerät in der Luft auf und schob sie gleichzeitig in Richtung Gebäude. Talia befand sich bereits ein gutes Stück entfernt und hatte gleich die Ecke erreicht.
»Wir müssen Sie hineinbringen«, sagte Kev, während er sie zum Laufen antrieb. »Man hat mich soeben über einen Angriff informiert.«
Seine Worte wirkten äußerst ernüchternd auf sie. War es an der Zeit zu sterben? »Geister?«
»Irgendetwas«, erwiderte er. Es klang wie eine Ausrede. »Genaueres können wir erst nach der Untersuchung der Leichen sagen.«
Die plötzliche Aufregung ließ ihr Herz heftig schlagen und trieb ihr den Schweiß auf die Haut. Zwei Angriffe an einem Tag. Geister attackierten das Sicherheitssystem von Segue. Wie lebten die Thornes mit dieser ständigen Bedrohung? Das Schloss befand sich im Belagerungszustand.
Sie betraten den Hauptbereich des alten Hotels. Durch die lange Flucht eleganter Zimmer kam Adam auf sie zu. Talia hielt bereits ein Baby im Arm und wiegte es nervös.
»Was ist los?«, fragte Talia.
»Ein Zwischenfall am Haupteingang. Eine Frau. Kaukasierin, circa 1,60 Meter groß, hundert Pfund, braune Haare, blauer Mantel«, sagte Adam, wich jedoch Laylas Blick aus. »Sie hat sechs meiner Männer erledigt, dann ist sie verschwunden.
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