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Zwielichtlande

Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kellison
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die Arme um ihren Körper.
    »Mich hat ein Mistkerl erwischt, der gemeinsame Sache mit den Geistern gemacht hat.« Mistkerl. Das war ziemlich milde ausgedrückt. »Spencer«, ergänzte Custo. »Pech und schlechtes Timing. Ein schlechtes Leben.«
    Sie zitterte vor Kälte. Verdammt kalt hier drin. Sterbenskalt.
    Es war grausam, sie herzubringen, aber aus irgendeinem Grund wollte er, dass sie es sah. Alles andere in seinem Leben war geliehen, nur sein Tod gehörte ihm. Ganz auf sich gestellt hatte er ein einziges Mal in seinem Leben richtig gehandelt. Ein Augenblick, eine Entscheidung, kein Bedauern. Adam und Talia waren es wert gewesen.
    »Zeig es mir.« Ihre Stimme klang unverhältnismäßig laut, als versuchte sie, ein starkes Gefühl zu überspielen.
    Custo las nicht ihre Gedanken, spürte nicht ihrem Motiv nach. Er drang nicht unbefugt in ihren Kopf ein, aber es erforderte seine gesamte Selbstbeherrschung, es nicht zu tun. So viel Respekt war er ihr schuldig, nachdem sie den durchlöcherten Fahrstuhl betreten und ihm vertraut hatte.
    Wenn er es irgendwie schaffte, würde er nicht wieder in ihre Gedanken eindringen.
    »Zeig es mir«, wiederholte sie.
    Custo blickte zum Flur auf der anderen Seite des großen Raumes. Hinter jener Tür war es passiert.
    Das Schlafzimmer lag genauso leer wie der Rest des Lofts. Sein Grab war hohl und verlassen. Mit dem Fuß strich er über die Stelle, auf der er an einen Stuhl gefesselt gesessen hatte, aber das konnte er ihr nicht erzählen. Das war zu viel, selbst für ihn. Er ging langsam durch den Raum. Aus seiner Erinnerung tauchte ein Wald auf: die Zwielichtlande. Nach all der Zeit verströmten die Bäume immer noch eine unheilvolle Magie und atmeten Kraft. Er zwinkerte innerlich und konnte den Wald beinahe sehen.
    »Hattest du Schmerzen?« Annabellas Augen glänzten feucht, doch an ihren zusammengebissenen Zähnen erkannte er, dass sie wütend war, weil er ihr das hier zumutete.
    Custo unterdrückte ein unglückliches Lachen. Schmerzen? »Nein«, log er, »es ging ganz schnell.«
    Er konnte ihr nicht erzählen, wie er sich eingenässt hatte.
    Er schluckte, seine Kehle fühlte sich trocken an. Dann sagte er: »Ich frage mich, wieso Adam nichts aus der Bude gemacht hat.«
    »Ich kann es mir vorstellen«, erwiderte sie tonlos. Sie wich einen Schritt in Richtung Flur zurück, weg vom Tod. Gereizt fügte sie hinzu: »Ich kann keine Gedanken lesen, aber falls du mit dem Gedanken spielst, heute Nacht hierzubleiben, überlege es dir noch einmal. Das ist schlimmer, als zurück in meine Wohnung zu gehen.«
    Custo verfluchte sich, er war ein Esel. Er sollte sie hier wegbringen.
    Sie wischte sich ein paar Tränen von den Wangen, ihr Kinn bebte. Mit kerzengeradem Rücken machte sie auf dem Absatz kehrt und schritt stolz aus dem Raum.
    Noch einmal ließ er den Blick durch das Zimmer gleiten, konnte aber das Rauschen der Schattenbäume nicht hören. Der Raum lag grau und leer. Nur ein Gespenst war übrig – er.
    Es jagte ihm einen Angstschauder über die Haut, dass Annabella nicht bei ihm war. Das Loft hing voller Schatten. Er hatte sie so verärgert, dass sie sich womöglich zu weit von ihm entfernte.
    Wieso zum Teufel hatte er sie mit seiner Vergangenheit gequält?
    Er fand sie am Fahrstuhl, wo sie mit den Fingerspitzen über ein Einschussloch strich. Es war besser, dass sie dachte, er sei an einem Schuss gestorben.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Wir können jetzt gehen. Wir hätten nicht herkommen sollen.«
    Sie schwieg und würdigte ihn keines Blickes. Vielleicht dachte sie, er wäre wieder in ihrem Kopf und stehle ihre Gedanken. Ein nicht ganz abwegiger Verdacht; schließlich hatte er in seinem Leben so einiges gestohlen. Seine Familie hatte kein Geld wie Adams, und doch hatte er dieselben Schulen besucht. Grundbedürfnisse mussten genauso befriedigt werden wie das eine oder andere Extra. Ein paar seltsame Aufträge hier und dort brachten nie auch nur annähernd genug ein. Von Adam wollte er keinen Cent annehmen.
    Er war ein Dieb, aber er würde sie nicht wieder bestehlen. Von jetzt an gehörten ihre Gedanken ihr.
    Sie drückte den Knopf des Fahrstuhls, und die Türen glitten auseinander. Angespannte Stille begleitete sie zurück auf den nächtlichen Bürgersteig. Er versuchte nicht, sie anzufassen, blieb aber dicht neben ihr und war wachsam. Alles, was sich bewegte, bedeutete eine potenzielle Gefahr.
    Das Taxi war weg, aber ein schwarzer Geländewagen aus Segue erwartete

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