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Zwielichtlande

Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kellison
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Die Muskeln an seinem Kiefer traten hervor, er biss die Zähne zusammen.
    Annabella sah kurz zu dem Taxifahrer und bemerkte, dass er den Blick vom Rückspiegel wieder auf die Straße richtete. Ja, pass bloß auf, wo du hinfährst .
    Sie rückte näher an Custo heran. »Du meinst, du kannst hören, was er denkt? Du kannst Gedanken lesen?«
    »Einige besser als andere.«
    Annabella war ziemlich sicher, dass sie zu »einigen« gehörte. Er hatte zu viel gesagt und getan, um ein bloßer Beobachter zu sein. Verdammt – sie hatte ihn praktisch gebeten, sie zu berühren, seit sie sich das erste Mal begegnet waren. Hatte sich vorgestellt, dass er sie überall anfasste. Kein Wunder, dass sie das Vorspiel quasi ausgelassen und gleich zur Sache gekommen waren. Einfaches Flirten war so gut wie unmöglich gewesen, nachdem sie nur an das eine denken konnte …
    Ihr Blick zuckte zu seinem Gesicht, ihr wurde abwechselnd heiß und kalt vor Scham.
    »Du musst dich für nichts schämen«, sagte er mit rauer, angespannter Stimme. »Ich habe dich genauso begehrt. Das habe ich dir heute Morgen gezeigt.«
    Wusste er von der krankhaften Anziehung, die sie für den Wolf empfand? Von der Schattenmagie?
    Custo blickte aus dem Fenster.
    Das Brennen in ihrem Gesicht verstärkte sich. Das war nicht okay für sie.
    Sie rutschte zurück an die Tür und brachte so viel Abstand zwischen sich und ihn wie nur möglich. Wegen dieser ganzen Geschichte mit seinem Vater wollte sie nicht kühl sein, aber das war einfach nicht in Ordnung.
    Mit dem Rest dieses Wahnsinns kam sie zurecht, zwar nicht gut, aber … Sie hatte einige gruselige Sachen gesehen und gehört und war weder schreiend davongelaufen, noch musste sie mit Medikamenten ruhiggestellt werden. Natürlich hatte sie von der Sache mit den Geistern gewusst. Sie tauchten ständig in den Nachrichten und im Internet auf. Sie hatte noch nie einen gesehen, doch durch die Spätnachrichten war sie in gewisser Weise darauf vorbereitet gewesen, dass es noch andere gruselige Wesen gab.
    Aber trotzdem … Die Menschen hatten das Recht, selbst zu entscheiden, welche Gedanken sie mitteilen wollten.
    Er hätte es ihr sagen müssen.
    »Annabella, bitte … «
    Sie schwieg. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Wusste noch nicht einmal, ob das überhaupt nötig war, wenn er die Antworten ohnehin in ihrem Kopf lesen konnte.
    »Ich kann nichts für das, was ich bin«, sagte er.
    Ich auch nicht. Ich bin wütend.
    Das Taxi hielt an, und der Fahrer nannte Custo den Preis.
    Annabella öffnete die Wagentür, stieg aus und ließ Custo bezahlen. Sie holte tief Luft; es roch schwach nach Staub und Beton. Die imposanten Gebäude mit den altmodischen Verzierungen an den Fassaden waren gepflegt, die Straße halbwegs sauber. Rechts von ihr überragte ein silbergrauer Büroblock die restliche Nachbarschaft und zeigte vergleichsweise wenig Charakter.
    Custo stieg aus, zahlte und trat auf dem Bürgersteig zu ihr. Er blickte am höchsten Gebäude nach oben. »Komm mit.«
    Würde er sie aufhalten, wenn sie einfach in die andere Richtung lief?
    Er ging zum Eingang und tippte eine Nummer in die Tastatur ein. Ein winziges Licht sprang von Rot auf Grün. Er zog die Tür auf, hinter der ein dunkles Rechteck wartete, und blickte zu ihr herüber. »Wenn du dann so weit wärst.«
    Seinen Sarkasmus konnte er sich sparen. Was hatte sie schon für eine Wahl? Entweder blieb sie bei dem leidenden, in die Gedanken einbrechenden Engel, oder sie wurde von einem besessenen Wolf gefressen.
    Ihre Absätze klapperten über den Bürgersteig auf die Tür zu und hallten von den angrenzenden Gebäuden wider. Sie trat nicht gleich ein. Was war das für ein Haus? Sie öffnete die Tür, beugte sich nach innen und sah sich um. Noch mehr Dunkelheit. »Ich kann nichts sehen.«
    Custo griff um sie herum. Plötzlich umfing sie der sinnliche Moschusgeruch seines Körpers. Ein Licht ging an. »Die Bewegungsmelder waren ausgeschaltet.«
    Der Eingang war neutral weiß, bis auf ein kleines Schild, auf dem NEBENGEBÄUDE stand. Kein Empfangstresen. Wer hier hereinkam, musste wissen, wo er hinwollte. Es gab zwei Möglichkeiten: eine schlichte Tür oder einen Aufzug mit, ach du liebe Güte, Einschusslöchern.
    Das Gebäude musste ebenfalls zu Segue gehören.
    Custo schloss die Außentür hinter sich und ging auf die Tastatur neben dem Fahrstuhl zu, in die er einen weiteren Code eingab. Ein sattes Klicken, und die Türen öffneten sich mit einem Zischen.
    Noch mehr

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