Zwielichtlande
in den Raum. Die Luft roch ähnlich abgestanden, aber der Raum präsentierte sich offen, akribisch sauber, und – Gott sei Dank – möbliert. Jede Ecke war hell erleuchtet. An einer Wand stand ein Schreibtisch mit einem Computer, der Bildschirm leer. Eine weitere Tür führte zu einem hübschen modernen Badezimmer. Und hinter einem grauen Raumteiler entdeckte sie den Fuß von einem niedrigen französischen Bett. Ein Bett, aha.
Er würde auf dem Boden schlafen.
»Ich schwöre, ich bin es«, sagte Custo in den Hörer. »Wer sonst sollte von den Uhren in Shelby wissen?«
Eine Pause.
»Aber ich bin kein Geist geworden. Du weißt, das würde ich nie … «
Wieder Pause.
»Es sind noch seltsamere Sachen geschehen, Adam. Du musst mich anhören.«
Custo zog einen Stuhl unter dem Schreibtisch hervor und setzte sich. »Wir bleiben hier. Wir warten auf dich. Und, äh, wir haben ein Problem.«
Er runzelte erneut die Stirn und hob dann den Blick zu Annabella. »Ich und eine Freundin. Ich erzähle es dir, wenn du hier bist.«
Nachdem er aufgelegt hatte, hob Annabella fragend die Brauen. »Und?«
»Adam ist auf dem Weg.«
Noch ein Verrückter. Sie lehnte sich gegen den offenen Durchgang und seufzte. »Glaubt er, Sie sind ein Geist?«
Fantastidiotisch. In den letzten Jahren waren Geister überall im Internet und gelegentlich in den Nachrichten aufgetaucht, aber sie hatte noch nie einen gesehen, sie wollte auch keinen sehen. Sie wusste nicht viel über sie, außer dass sie tödlich, wahnsinnig und wirklich stark waren. In einem Internetclip hatte sie ziemlich gefährliche Zähne gesehen. Aber sie wusste nicht, was sie wirklich waren und woher sie kamen.
Annabella musterte Custo. Verrückt und stark genug dürfte er sein. Über den tödlichen Teil wollte sie lieber nicht nachdenken. Zumindest schienen seine Zähne normal zu sein.
»Er hält es für möglich.« Custo stand auf und ging zu einem Schrank. Er wühlte in einer Schublade und zog eine Art Anorak hervor, den er auf den Boden fallen ließ. Dann grub er tiefer und beförderte einen Stapel schwarzer Kleidung hervor. »Ich will schnell duschen. Haben Sie etwas dagegen? Anschließend beantworte ich Ihre Fragen.«
Ihre Liste wurde immer länger.
Annabella blickte sich um. Der Raum war hell, und die Taschenlampe in ihrer Hand wog schwer. Hier gab es keine Schatten. Ihr Telefon blinkte. Wahrscheinlich ihre Mutter. »Ja, okay.«
Custo verschwand im Badezimmer, ließ die Tür jedoch einen Spalt breit offen stehen.
Annabella hörte ihre Nachrichten ab. Ein fremder Anrufer hatte aufgelegt – wahrscheinlich Adam – , und ihre Mutter hatte angerufen. Annabella rief zurück und beruhigte sie – keine verrückten Hunde heute Abend. Sie erzählte ihr etwas von einer spontanen Verabredung mit einem süßen Kerl und kam mit einem bedeutungsvollen »Ich kann jetzt nicht reden« zum Schluss. Ihre Mom wirkte überglücklich, dass ihre Tochter eine Verabredung hatte und legte unter der Bedingung auf, später alle Einzelheiten zu erfahren. Das würde ein interessantes Gespräch werden.
Annabella beendete das Telefonat, alles erledigt. Halt, sie überlegte und wählte dann ihre eigene Nummer. Der Anruf landete direkt auf der Mailbox. »Ich bin mit einem leicht irren Mann namens Custo zusammen, der … vielleicht ein Geist ist. Er ist groß, gut gebaut, mit grünen Augen und dunkelblonden Haaren. Er hat mich mit zu einer Wohnung genommen, die dem Segue Institut gehört. Was immer das ist. Jedenfalls verfügt er über die Eingangscodes, um hier hereinzukommen. Es befindet sich im Erdgeschoss eines Backsteingebäudes in der Nähe der 36. Straße West und der Fünften. Oh, und er hat von meinem Mobiltelefon aus einen Mann namens Adam angerufen. Wenn ich verschwinden oder tot aufgefunden werden sollte, fangt hier an.«
»Schlaues Mädchen«, sagte Custo von der Badezimmertür aus. »Das nächste Mal sollten Sie sich eine Hausnummer merken, selbst wenn es nur die vom Nebengebäude oder eine auf der anderen Straßenseite ist. Oder irgendein auffälliges Merkmal.«
»Nun, Sie können mir nicht verübeln, dass ich auf Nummer sicher gehe.« Sie steckte ihr Telefon ein, wich zurück und stieß mit den Oberschenkeln gegen den Schreibtisch. Wow . Custo in zu kleiner Kleidung sah gut aus. Custo in einem engen langärmeligen schwarzen T-Shirt, unter dessen weichem Stoff sich jede Wölbung seines Körpers abzeichnete, war überwältigend. Und sie verstand etwas von guten Körpern. Er trug
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