Zwielichtlande
zulässt.«
»Annabella … «
Der Ausdruck in ihren Augen wirkte entschlossen. Die Angst, die über ihrem Gesicht gelegen hatte, verschwand. So hatte ihn noch nie zuvor jemand angesehen. Noch nie hatte ihn jemand so gebraucht. »Bitte. Ich will mich nicht verlieren. Wenn du bei mir bist, passiert mir das nicht.«
Er hatte ihr vom ersten Augenblick an gesagt, dass sie ihm vertrauen sollte. Hatte ihr erzählt, dass er sie auf Schritt und Tritt begleiten werde und sie den Wolf zusammen zurück ins Schattenreich drängen würden.
Jetzt hatte Custo nicht den Mut, sie daran zu erinnern.
11
Custo drückte die schlafende Annabella fester an sich und verfluchte den Sonnenaufgang. Nicht, dass er ihn von Adams unterirdischer Wohnung aus hätte sehen können, aber da der digitale Wecker 6.40 Uhr anzeigte, ging er davon aus, dass der verdammte rote Ball am Horizont aufstieg. Er wollte sich nicht von der Stelle rühren. Sein Bauch schmerzte immer noch, wollte nicht heilen. Aber er hatte keine Zeit, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen – was sollte der auch tun? – , bevor sie sich auf den Weg zu dem Turm machten.
Stattdessen hatte er die Zeit auf die beste Art verbracht, die er sich vorstellen konnte – er hielt, so lange er konnte, Annabella in den Armen.
Ihr geschmeidiger Körper passte wie ein Puzzlestück perfekt zu seinem, und ihr Hinterteil berührte erotisch seine Lenden. Sie war an den richtigen Stellen weich und rund, obwohl ihr Körper überall von festen Muskeln durchzogen war. Fast überall; die letzten zwanzig Minuten hatte er die Rippenbögen unter ihren Brüsten gestreichelt. Er traute sich nicht, höher zu gleiten, denn dann konnte er für nichts garantieren. Nur ihre Haare, die ihn die Hälfte der Nacht in der Nase gekitzelt hatten und nach Talias Fruchtshampoo rochen, hatten ihn davon abgelenkt, sich ihre weichen himbeerfarbenen Knospen vorzustellen.
Oh, Teufel. Der Turm. Denk an den Turm. Nein, das verstärkte sein Begehren nur noch mehr. Denn der Turm erinnerte ihn daran, dass er gehen würde, wahrscheinlich für immer.
Okay, dann Autos. Er dachte an sein erstes Auto, einen gestohlenen BMW 63 CSI , Baujahr 1981. Das war eine nette Tour gewesen. Er hatte ihn für eine Verabredung gebraucht und die Blondine aus seinem Einführungskurs an der Uni auf dem Beifahrersitz gevögelt.
Annabella bewegte sich, und sein Schwanz wurde fest. Die Wunde in seinem Bauch brannte.
Wer hätte gedacht, dass Sterblichkeit Himmel und Hölle in einem war?
Man müsste ihn dafür heiligsprechen, dass er letzte Nacht nicht mit Annabella geschlafen hatte. So erschöpft wie sie gewesen war, hatte er ihre Einladung zurückgewiesen. Dafür verdiente er ein Denkmal zu seinen Ehren. Bei jeder anderen Frau hätte er sie und sich befriedigt, immer wieder. Er hätte sie um den Verstand gevögelt. Wieso nicht Annabella?
Es war das Vertrauen, das er in ihren Augen las. Sie glaubte fest daran, dass sie diesen Albtraum gemeinsam bis zum Ende durchstehen würden. Wie konnte er ihr Vertrauen annehmen, wenn er wusste, dass er es am nächsten Morgen verraten musste?
Irgendjemand dort oben tat gut daran, sich Notizen zu machen.
Letzte Nacht hatte er sich damit begnügt, über ihren schmerzenden Körper zu streichen, während sie bäuchlings auf den zahlreichen Kissen im Bett lag: Mit den Daumen massierte er ihre Fußsohlen, bis sie vor Wonne seufzte. Vorsichtig lockerte er die festen Muskeln in ihren Waden. Als er ihre Schenkel massierte, schrie sie »au, au, au«, dann aber stöhnte sie dankbar und schmiegte ihren Po in seine Hände. Was ihren Körper anging, kannte die Frau keine Hemmungen, und das mit gutem Grund.
Als sie eingeschlafen war, hatte er ihr Profil betrachtet, ihre flackernden Lider beobachtet und zufrieden registriert, dass sich ihre wirren Traumgedanken alle um ihn drehten. Nicht um den Wolf.
Als die Nacht vorangeschritten und es vollkommen ruhig war, hatte er seinen Geist geöffnet und den Weißen Turm gesucht. Er hatte ihn sofort gefunden, innerhalb von Sekunden. Es handelte sich um einen leuchtenden ruhenden Pol, ein Lichthaus in dem wirren Strom der Menschheit. Er konnte ihn bislang nur übersehen haben, weil er ganz bewusst alles Engelhafte mied.
6.45 Uhr. Zeit aufzustehen. Er ergab sich in sein Schicksal. Sie würden in etwas über einer Stunde aufbrechen, bis dahin gab es viel zu tun. Schon bald musste er sich Luca ausliefern. Er wollte Adam nicht um die Chance bringen, Hilfe beim Kampf gegen die
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