Zwielichtlande
Luca. »Wir haben gekämpft, um dich zu retten. Damit du dich uns anschließen kannst und uns mit deiner großen Seele unterstützt. Es gibt mehr Arbeit, als du denkst. Du wirst gebraucht. Hier. Jetzt.«
»Ich kann meine Freunde nicht im Stich lassen. Das mache ich nicht.«
»Glaubst du, die Geister oder der Jäger wären die einzigen Wesen, die der Erde Schwierigkeiten bereiten, seit der Tod aus Liebe das Universum geöffnet hat? Die Magie sickert wieder in die Welt, und so entsteht auf der einen Seite im Zuge einer großen modernen Renaissance Kunst, Schönheit und Innovation – dazu gehört übrigens deine Annabella – , und auf der anderen Seite greifen alle Arten dunkler Schattenwesen die Grenze an und gieren nach der Macht der sterblichen Welt. Die Folgen sind weitaus schlimmer als bei den Geistern oder einem Wolf auf Beutezug. Wir tun alles, um das zu verhindern.«
»Du hast gesagt, dass die Magie wieder in die Welt sickert. Ist das schon einmal geschehen?« Custo kannte die Antwort, bevor er die Frage überhaupt ausgesprochen hatte. Natürlich war es bereits früher geschehen. Woher stammten sonst die ganzen Geschichten, Mythen und Legenden? Der Engel aus Griechenland hatte gesagt, die Menschheit hätte die alten Geschichten vergessen. Custo dachte nach.
Unterm Strich hieß das … »Ihr kämpft nicht gegen die Geister? Was, wenn Adam und Talia sich entscheiden, damit aufzuhören?«
»Die Geister würden vermutlich stärker. Es kommen mehr Menschen zu Tode.«
»Und der Wolf?«
»Ist auf ähnliche Art hier gefangen und momentan auf Annabella fixiert. Er ist keine so große Bedrohung, weil er als Gestaltwandler seine Form nicht ewig halten kann. Nach einer Weile löst er sich in Schatten auf.«
Diesen Effekt hatte Custo beobachtet, auf einmal war der Wolf mit der Dunkelheit verschmolzen. Das Problem bestand darin, dass der Wolf eine neue Gestalt annehmen konnte. »Und in der Zwischenzeit? Was ist mit Annabella?«
Luca starrte ihn ausdruckslos an.
Wut und Verzweiflung brannten in Custos Adern. »Ihr tut also nichts.«
Luca sah ihm geradewegs in die Augen. »Wir tun etwas. Du siehst es nur nicht. Heute Morgen hat ein kleiner Junge in China einen Drachen aus einem Märchenbuch in die sterbliche Welt befördert – richtig, einen feuerspeienden Drachen – , und du willst, dass wir in New York City für Ordnung sorgen, indem wir nach einem Wolf suchen, der von allein verschwindet?«
Ein Ausruf innerhalb der Kommandozentrale löste eine neue Aktivitätswelle unter den Engeln aus.
Luca sagte müde: »Das ist bestimmt Coyote, der Gauner. Er hat gerade allen südwestlichen Flügen neue Flugnummern zugeordnet. Und jetzt sollen wir alles stehen und liegen lassen und Geister jagen, um die sich bereits Adam und die weltlichen Regierungen kümmern? Ganz zu schweigen davon, dass der Tod seinen Posten verlassen hat. Wir müssen die Toten zu unserem Tor begleiten, oder sie gehen im Schattenreich verloren. Wir helfen dort, wo man uns am dringendsten braucht. Wir kämpfen, so gut wir können. Und wir brauchen deine Hilfe.«
Das interessierte Custo nicht. »Wenn ich in der sterblichen Welt sterben kann, kann es der Wolf auch.« Schließlich war der Wolf ebenfalls auf die Erde gefallen und in die sterbliche Welt gekommen.
Eine lange Pause verstärkte die Distanz zwischen Custo und Luca.
»Klar.« Gereizt zuckte Luca mit den Schultern, denn er hatte verloren.
Custos Herz hämmerte in einem kurzen Ausbruch von Blutrausch.
»Aber«, fuhr Luca fort und wiegte den Kopf hin und her, als bedenke er das Für und Wider, »als Gestaltwandler kann der Jäger in seinen Schattenzustand zurückkehren und vollkommen unverletzt in einer anderen Gestalt, Mann oder Wolf, wiederauftauchen. Zumindest so lange, bis er diese Gestalt nicht mehr halten kann.«
Custos Blut erkaltete. Gefror. Im Grunde erklärte Luca ihm, dass der Wolf auf unbestimmte Zeit Unsterblichkeit besaß, während er selbst durchaus sterben konnte. Momentan war Annabella und jeder in ihrer Nähe in Gefahr.
»Es muss einen Weg geben«, insistierte Custo.
»Du kennst ihn bereits«, erwiderte Luca. »Am besten ist es, ihn zurück ins Schattenreich zu treiben.«
Ein letztes Mal sah sich Custo in der hoch technisierten glänzenden Engelsburg um. Er dachte an die gefährlichen Waffen in ihren Kästen dort oben und dass er Zugang zu ihnen hätte.
Luca hatte gesagt, Custo habe als Engel das Privileg erhalten, seinen Weg selbst zu wählen. Na, dann. Das war alles
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