Zwielichtlande
Geist«, fügte Adam hinzu, was Custo überflüssig fand. »Aber er verfügt über hervorragende Heilkräfte, die von der Kugel behindert werden.«
Genug. Custo wollte es hinter sich bringen. Nicht auf seine Schmerzen achtend griff er die Trage, entwand sie den verblüfften Pflegern, die nichts anderes als Mädchen mit Muskeln waren, und stellte sie in rechtem Winkel vor das Bett, so dass er Annabella während des Gemetzels beobachten konnte. Er zog sein Hemd aus, öffnete seinen Gürtel und ließ die Hosen herunter. Die Haut an seiner Seite fühlte sich heiß an.
Er sprang auf den Tisch und zuckte zusammen, als eine neue Schmerzwelle durch seine Seite schoss, dann sagte er: »Bereit.«
Der Arzt und sein Team waren es nicht.
»Na, los!«
Als Annabella wimmerte, unterdrückte Custo ein Fluchen. Sie hatte so lange gebraucht, um zur Ruhe zu kommen.
Während der Arzt sich vorbereitete, stellte sich Adam neben Custo. Mit einem Blick zu Annabella sagte er: »Es scheint ihr besser zu gehen. Sie hat eine gesunde Gesichtsfarbe. Dr. Lin sagt, dass sie bei dem Angriff durch den Wolf keine körperlichen Verletzungen erlitten hat.«
»Sie hat eine ganze Stunde lang nicht aufgehört zu zittern.«
Aber ja, Annabella war genauso geschockt wie er, als sie entdeckt hatte, dass ihre Haut sauber, glatt und unversehrt war. Sie hatte ihn angehalten, sich umzudrehen, damit sie die intimeren Bereiche untersuchen konnte, sich dann grimmig auf die Bettkante gesetzt und schreckliche, von Angst getriebene Entscheidungen über ihr Leben getroffen, von denen sie ihm jedoch nichts sagte. Er hatte sich auf seine Art informiert, und die Quintessenz lautete: Wenn sie aufhörte zu tanzen, würde der Wolf das Interesse an ihr verlieren.
Wenigstens entschloss sie sich ganz bewusst, ihn nicht mehr Wolf zu nennen. Ihm keine Macht über sich zu geben. Nicht der Verführung der Schatten zu erliegen. Sie wirkte still und verschlossen, aber innerlich kämpfte sie.
»Sie wird darüber hinwegkommen«, sagte Adam. »Man sieht ihr an, wie stark sie ist.«
Aber sie war ein Mensch und hatte Angst. Lediglich ihr eiserner Wille erdete sie. Es gab allerdings eine Ausnahme. »Sie hat gesagt, die Bilder hätten sich bewegt.«
Adam zog die Brauen zusammen.
»Kathleens Bilder«, erklärte Custo. »Annabella hat gesagt, sie wären lebendig, die Bäume hätten sich bewegt.«
Adam blickte hinüber zu den gerahmten Bildern von den Zwielichtlanden. »Hat sie sich das nur eingebildet, oder haben sich die Bäume wirklich bewegt?«
»Was macht das für einen Unterschied?«, entgegnete Custo. Annabella konnte mit ihrem speziellen Blick direkt ins Schattenreich sehen, sodass die Frage der Realität nebensächlich war. Das musste Adam inzwischen kapiert haben.
»Guter Hinweis. Ich lasse sie entfernen.«
Als ein Pfleger ein Tablett neben das Bett schob, trat Adam zur Seite. Custos Bauch wurde mit einer kühlen, scharf riechenden Flüssigkeit eingerieben. Schon dieser leichte Druck schmerzte.
Dann folgte der verdammte Stich, weniger schlimm als Adams spöttisch gehobene Braue. Aber auch nicht gerade lustig.
Custo drehte den Kopf, um besser sehen zu können. Annabella schlief.
Custos bandagierter Bauch brannte wie Feuer, als der erste der Agenten unter Aufsicht die Wohnung betrat. Er wurde im Wohnzimmer festgehalten, während Custo zwei Stühle in der Ecke des Schlafzimmers aufstellte, weit genug entfernt von der immer noch schlafenden Annabella. Es durfte ihn nicht mehr als ein Sichtschutz von ihr trennen. Jeden, der sich auch nur andeutungsweise in ihre Richtung bewegte, würde er umbringen.
»Alle haben den MRT -Lügendetektortest bestanden«, behauptete Adam, als Custo erklärte, dass er jeden Soldaten persönlich befragen wollte.
Adam hatte anscheinend ein neues Spielzeug gefunden, ein Kernspingerät, das die Blutströme im Gehirn maß und deshalb angeblich genauer arbeitete als ein normaler Lügendetektor.
Die Ergebnisse beeindruckten Custo nicht. Der Verräter musste sich in der Gruppe von Soldaten befinden; nur sie wussten, dass Adam während der Vorstellung gestern Abend auf der Rückseite des City Centers postiert sein würde. Deshalb berief Custo seine persönliche Fragerunde ein.
»Du kannst Wahrheit von Lüge unterscheiden?«, fragte Adam.
»So ähnlich«, wich Custo aus. Nicht dass er Adam sein kleines Geheimnis nicht anvertrauen wollte. Er wusste nicht, wieso er es ihm nicht schon erzählt hatte. Irgendwie war ihm das Gedankenlesen
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