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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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Man könnte das Buch aber binnen vierundzwanzig Stunden besorgen. Das hatte Richard beruhigt. Offensichtlich waren seine Werke in Döbeln kein großer Renner und somit wuchs die Wahrscheinlichkeit, dass er hier unerkannt leben konnte.
    In einer Seitenstraße entdeckte er Marias roten Fiat Panda. Erst beim zweiten Blick sah er, dass das Nummernschild nur bis auf die letzte Ziffer identisch war. Außerdem war der Kunststoff der hinteren Stoßstange genau in der Mitte gesplittert. Vermutlich hatte jemand den Fiat rückwärts gegen ein Straßenschild oder eine Laterne gesetzt.
    Richard ging ein paar Schritte in die Seitenstraße hinein. Der Fiat parkte vor einem winzigen Ladenlokal. Pflegedienst Naumann & Santos klebte in roten Buchstaben am Schaufenster.
    Richard schlenderte wie zufällig an dem Laden vorbei. Im Schaufenster standen orangefarbene Blumen in einer bauchigen Kristallvase. Im Innern saß eine blonde, etwas mollige Frau an einem Schreibtisch und telefonierte. Sie schien älter als Maria zu sein. Maria selbst konnte er nirgends entdecken. Vermutlich war sie mit dem zweiten Wagen des Pflegedienstes unterwegs. Richard schaute auf die Uhr. Bei seiner Nachbarin Ahrens würde sie sich auf keinen Fall mehr aufhalten.
    Richard fuhr zusammen. Fast außerhalb seines Blickfelds hatte er eine Bewegung wahrgenommen. Schnell und ... heimlich. Als wollte sich jemand vor ihm verbergen. Er wandte sich um. Da waren Fußgänger. Hauptsächlich Hausfrauen, einige mit kleinen Kindern. Am Bürgersteig packte ein Fensterputzer seine Utensilien aus einem Kombi. Auf der anderen Straßenseite unterhielten sich zwei rotwangige Rentner. Einer von ihnen paffte eine Zigarre und stieß dabei Rauchwolken wie ein Miniaturkohlekraftwerk aus. Der andere hatte einen Hund an der Leine, der geduldig neben dem Mann auf der Stelle hockte. Irgendwo rief eine Frau nach einem Hubert, und dass er sich beeilen sollte. Die gewohnte Serenade des Kleinstadtlebens, nicht mehr und nicht weniger, aber es passte nicht zu dem, was für Sekundenbruchteile am äußersten Rande seines Gesichtsfelds in Erscheinung getreten war. Keiner der Anwesenden bewegte sich mit großer Eile. Aber das was er gesehen, oder mehr gefühlt hatte, war eilig gewesen. Eilig und behände. Beinahe wie ein Tier.
    Und er hatte das Gefühl, dass es noch immer nicht verschwunden war. Es hatte sich nur seinen Sinnen entzogen. Allerdings nicht vollständig, denn er fühlte sich noch immer beobachtet. Schon als Kind hatte er die Blicke anderer Menschen in seinem Rücken spüren können.
    Irgendetwas ... irgendjemand war da und interessierte sich für jede Bewegung, für jeden seiner Atemzüge.
    Einer der Rentner auf der anderen Straßenseite – der mit dem Hund an der Leine – richtete seine Aufmerksamkeit auf Richard, hob den Arm und rief einen Gruß, den Richard nicht verstand. Der alte Mann stieß seinen Freund an und nun starrten beide mit offenen Mündern in Richards Richtung.
    Richard erkannte erst jetzt, dass der Rentner mit dem Hund – Es ist ein fetter Dackel, stellte er beiläufig fest – sein Nachbar aus dem Parterre war. Gleichzeitig bemerkte er zu seinem Entsetzen, dass er die Kontrolle über seine Beine verlor. Richards Beine schienen sich in Stelzen verwandelt zu haben. Er machte einen unkontrollierten Ausfallschritt nach rechts und wäre, hätte es da nicht eine Hauswand gegeben, an der er sich abstützen konnte, auf dem Gehweg lang hingeschlagen. Verschwommen sah er, wie sein Nachbar mitsamt dem Dackel auf ihn zukam, die Straße überquerte und dabei mit einer herrischen Geste ein herannahendes Fahrzeug zum Stehen brachte.
    Richard vernahm das Hupen wie aus weiter Ferne. Sein Nachbar tauchte unvermittelt vor ihm auf. Er hatte die Strähnen seiner verbliebenen Haare sorgsam von links nach rechts über den rosa Schädel gekämmt.
    Es klang, als würde ein starker Wind aufkommen, aber nirgendwo bewegte sich auch nur ein Blatt auf den Bäumen. Er taumelte und wäre beinahe gestürzt; dann wurde ihm bewusst, dass er sein eigenes Blut in den Ohren rauschen hörte, während sein Herz schneller und schneller schlug.
    Mir wird schlecht, wollte Richard sagen, schaffte nur „Miii...“, ehe sein Gleichgewichtssinn nicht länger oben und unten auseinanderhalten konnte.
    Als er die Augen aufschlug, sah er zunächst nur eine weiß getünchte Zimmerdecke, dann tauchte das Gesicht einer unbekannten Frau über ihm auf. Sie trug einen weißen Kittel und musterte ihn mit besorgter Miene.

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