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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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männlich, stellte ich verärgert fest, aber als ich die gebeugten Schultern und den schlurfenden Gang bemerkte, freute ich mich: Aber zur Abwechslung alt.
    Der Fremde kam näher und murmelte im Vorübergehen einen Gruß. Er führte einen Hund an der Leine aus, einen fetten Mischling, dessen Bauch beinahe über dem Boden schleifte.
    Mir war kalt. Noch länger in diesem Regen und ich würde mir eine Erkältung holen.
    Mit den Handschuhen als Schutz vor Stacheln und Fingerabdrücken legte ich den Draht in dem Jutesack zurecht. Ich benutzte keine Plastiktüten mehr. Ein Jutesack hatte sich als widerstandsfähiger gegenüber dem Stacheldraht erwiesen. Es gab noch eine zweite Verbesserung: Ich hatte den plumpen Hammer gegen ein Rasiermesser ausgetauscht. Ich holte das Messer aus meiner Manteltasche hervor und öffnete es mit einer schnellen, oft geübten Bewegung der linken Hand.
    „Warten Sie bitte“, sagte ich im Plauderton und der alte Mann blieb stehen. Hund und Herrchen wandten die Köpfe gleichzeitig zu mir um. Das sah so komisch aus, dass ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte. Der Alte lächelte zurück.
    Ich überwand die kurze Distanz mit zwei Schritten, rammte das Rasiermesser mit der scharfen Seite vorwärts und spaltete den rechten Augapfel des Mannes. Der stieß einen schrillen – lächerlich weibischen – Schrei aus, ließ die Hundeleine fallen und schlug beide Hände vors Gesicht.
    Ich griff in den noch immer vollen Haarschopf des Alten und riss dessen Kopf zurück. Die Klinge, blass-silbern mit feinen roten Blutsprenkeln, fuhr erneut durch den Nieselregen und schnitt dem Mann von einem Ohr zum anderen die Kehle durch. Rot und unnatürlich grell im letzten Licht des Tages schoss das Blut aus der neu geschaffenen Körperöffnung hervor. Der Mann sank auf die Knie, fiel dann vornüber und ich sah befriedigt zu, wie sich unter ihm eine schnell größer werdende Pfütze bildete. Das rechte Bein zuckte noch ein paar Mal, dann lag der Alte still.
    Ich legte den Stacheldraht um den Nacken des Sterbenden. Das Anbringen des Drahtes war nur noch eine routinemäßige Angelegenheit. Meine Visitenkarte. Die Visitenkarte eines Auserwählten, der durch das Land reisen musste, um die Schwachen von den Wertvollen zu trennen.
    Der Mischling war ungerührt mit schleifender Leine ein Stück weitergetrottet und glotzte nun mit seinen Triefaugen zu mir und seinem toten Herrchen zurück.
    „Was mache ich mit dir?“
    Das Tier wedelte mit dem Schwanz. Ich bückte sich und löste die Leine vom Halsband, denn ich wollte nicht, dass der Hund irgendwo hängen blieb.
    Tiere sind von den degenerierten Menschen missbrauchte Wesen. Sie sind immer unschuldig.
    „Ab mit dir!“, sagte ich. „Geh nach Hause.“
    Später, bei der Heimfahrt im Zug, stellte ich verärgert fest, dass ich das Geld des Hundehalters vergessen hatte.
    Soviel zur Tierliebe!

Ohnmacht

    Richard war verwirrt, und doch fühlte er, dass ihn die Aussprache mit Dr. Busch erleichtert hatte. Der Psychiater hatte Richard ein homöopathisches Mittel mitgegeben. Winzige, weiße Kügelchen, die beim Entspannen und möglicherweise sogar beim Einschlafen unterstützen sollten.
    Was ihm aber am meisten Hoffnung gab, war, dass Dr. Busch ihn von nun an dreimal pro Woche in seiner Praxis sehen wollte. Er sagte, dass Richards Fall für ihn von großem Interesse sei, da die Folgen eines Blitzschlags beim Menschen noch nahezu unerforscht wären.
    Richard fuhr nicht auf dem direkten Weg nach Haus, sondern parkte seinen Golf in der Nähe des Rathauses.
    Der Vormittag war kühl, aber trocken. Richard verspürte den Drang, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Er schlenderte an den Läden vorbei und blieb schließlich vor dem Schaufenster der Buchhandlung stehen.
    Fantasy-Romane waren noch immer im Trend, stellte er fest. Erst vor kurzer Zeit, als er feststellte, wie quälend langsam – Eigentlich überhaupt nicht, dachte Richard – der neue Roman vorankam, hatte er mit dem Gedanken gespielt, es auch mal mit Fantasy zu versuchen. In seiner Jugend hatte er dieses Genre verschlungen. Aber irgendwie fand er es nach kurzem Überlegen abwegig fiktive Welten mit Drachen, Zauberern und Dämonen zu erfinden, wo die Realität doch tagtäglich weitaus größere Schrecken gebar.
    Zwei Tage, nachdem er in seine Wohnung in Döbeln eingezogen war, hatte er bei der Buchhandlung angerufen und nachgefragt, ob Der Reisende von Richard Kenning vorrätig sei. Die Antwort war negativ gewesen.

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