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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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gezücktem Säbel per Fallschirm vom Himmel schweben, um Basti den Kopf abzuschlagen.
    Als sie den Seitenarm der Mulde erreichten und innehielten, um von der Brücke aus schweigend das dahinfließende Wasser zu betrachten, sagte Richard: „Es könnten auch die Ratten gewesen sein.“
    „Welche Ratten?“, fragte Sandow.
    „Die im Nebenhaus“, erwiderte Richard. „In dieser Bruchbude. Ich kann sie fast jede Nacht hören. Sie kratzen und schaben hinter den Wänden.“
    Sandow starrte wie hypnotisiert auf die Wasserfläche. „Ist mir noch nie aufgefallen.“
    „Aber Ihre Wohnung grenzt doch auch an das Nachbarhaus. Sie müssten Sie doch auch hören. Heute Morgen war ein Kammerjäger da und hat Giftköder ausgelegt.“
    Der Nachbar sah ihn an und runzelte die Stirn, als müsste er über das Gehörte intensiv nachdenken. „Wir hören in unserer Wohnung keine Ratten, Herr Gerling. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Ratten einem Kater den Kopf abreißen. Wie groß sollen diese Viecher denn dann sein?“
    Richard hatte das Gefühl, dass Sandow noch eine weitere Frage auf der Zunge lag: „Ist es möglich, dass nur Sie diese Ratten hören können?“

    In der folgenden Nacht waren sie aktiver denn je. Sie konzentrierten ihr emsiges Kratzen an einer Stelle der Wand unmittelbar neben Richards Bett. Zunächst hatte er versucht die Ratten einfach zu ignorieren und in die Küche auszuweichen, aber als er nach einer Viertelstunde zurückkehrte, um sich zu vergewissern, ob sie nicht endlich Ruhe gaben, klangen sie wütender denn je.
    Wütend, dachte Richard. Sie waren wütend und real. Es war unmöglich, dass er sich die Ratten nur einbildete. Vielleicht gab es einen Grund, warum Sandow und seine Frau die Biester nicht hören konnten. Irgendwelche baulichen Besonderheiten im Nachbarhaus machten den Ratten möglicherweise einen direkten Zugang zum Parterre unmöglich.
    Richard überlegte, dass Frau Ahrens im zweiten Stock und die beiden jungen Frauen im Dachgeschoss ebenfalls Wand an Wand mit der Ruine lebten. Es interessierte ihn, ob sie auch von den Ratten belästigt wurden.
    Die Geräusche hinter der Schlafzimmerwand klangen jetzt so, als würden die Ratten unmittelbar vor dem Durchbruch in seine Wohnung stehen. Richard starrte mit wachsender Panik auf jene Stelle, hinter der sich die Brut konzentrierte. Er brauchte irgendetwas um mit ihnen fertig zu werden. Eine Waffe!
    Richard rannte in die Küche und dieses Mal zog er gleich zwei Klingen aus dem Messerblock. Im Schlafzimmer kniete er vor der Wand und wartete angeekelt darauf, dass sich ein Loch bildete, aus dem sich dann eine spitze Schnauze mit scharfen Nagezähnen schob.
    Wenn er diese Nacht überstanden hatte, schwor er sich, würde er nach Dresden fahren und dort seinem Vermieter die Hölle heiß machen.
    Das unentwegte Kratzen in der Wand klang eher nach jungen Hunden, die ins Freie wollen, dachte Richard, während er die Messer angriffsbereit in den Fäusten hielt.
    Machen Ratten nicht noch andere Geräusche als dieses ewige Kratz ... Kratz ... Kratz ... ?
    Gaben sie nicht widerliche Quieklaute von sich? Oder waren diese Ratten so auf ihr Ziel fixiert, dass sie auf jegliche Kommunikation untereinander verzichteten?
    Richard versuchte herauszuhören, wie viele von den Biestern sich an der Wand zu schaffen machten.
    „Kommt nur!“, stieß er wutschnaubend hervor. „Ich schlage euch die Köpfe ab! Ich schneide euch in der Mitte durch!“
    Er keuchte und fragte sich, ob er überhaupt dazu fähig war, auf eines der Biester loszugehen, oder ob er nicht einfach nur kreischend aus dem Zimmer laufen würde.
    Die Geräusche verstummten. Jenseits der Wand knarrte Holz. Es hörte sich wie ein asthmatischer Atemzug an. Dann war es still.
    Richard dachte an den Kammerjäger. Vielleicht hatten die Ratten die Giftköder gefressen und das war ihr letzter Angriff gewesen. Außer sich vor Wut und Verzweiflung, angesichts der Schmerzen in ihren Eingeweiden und des nahenden Todes.
    Aber konnten sie alle auf einmal verreckt sein?
    Richard wartete. Er fühlte sich wacher denn je. In dieser Nacht würde er nicht eine Minute Schlaf finden. Dr. Buschs Medizin, die er wie vorgeschrieben nach dem Abendessen eingenommen hatte, zeigte nicht die geringste Wirkung.
    Er blieb auf dem Fußboden hocken und wartete. Es war kurz nach Mitternacht.

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    Ich befreite von Einsamkeit und

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