Zwienacht (German Edition)
der Welt schaffen ließe.
„Und wir müssen einiges besprechen“, sagte Dr. Busch. „Der Blitzschlag verbunden mit einem Toten ist ein traumatisches Erlebnis für Sie. Es hieß, Sie könnten sich nicht mehr daran erinnern, wie Sie auf den Schulhof gelangt waren. Entspricht das der Wahrheit?“
„Ja“, antwortete er ohne Zögern. „Ich erwachte im Gebüsch. Mit einem Gefühl, als hätte ich die ganze Nacht durchzecht.“
„Hatten Sie das?“
Richard schüttelte den Kopf. „Nein ... das heißt, ich weiß nur noch, dass ich auf einer Party meines Verlegers war. Aber ich habe kaum etwas getrunken.“
„Und dann?“ Dr. Busch rückte den Stuhl ein wenig näher heran.
Richard breitete in einer Geste der Ratlosigkeit die Arme aus. „Keine Ahnung. Filmriss. Ich frage mich seit jenem Morgen ständig, wie ich auf den Schulhof gekommen bin und warum ich diese absurde Kleidung trug.“
„Die Sie nie zuvor benutzt hatten?“
„Nein. Nie!“ Richards Stimme hatte entsetzter geklungen, als er es beabsichtigt hatte.
„Dann fehlen Ihnen also mehrere Stunden Ihres Lebens“, stellte Dr. Busch fest. „Sie sind nicht der erste, dem so etwas widerfahren ist.“
Richard sah ihn einen Moment schweigend an. „Man muss sich einen schlechten Scherz mit mir geleistet haben. Vermutlich hat mir jemand K.-o.-Tropfen ins Glas geschüttet.“
„Haben Sie einen Verdacht?“, fragte Busch.
„Nein. Es hätte jeder der Anwesenden sein können.“
„Lassen Sie uns über den Blitzschlag reden. Erinnern Sie sich noch daran?“
„Hell“, erwiderte Richard und schloss reflexartig die Augen. „Es war so hell, als würde man direkt in die Sonne blicken. Und mit dem Licht kam ein Fauchen. Es ging alles so schnell, dass ich noch nicht einmal Angst empfinden konnte.“
„Laut den Berichten ist der Blitz zuerst in die Kamera eines Fotografen einer Lokalzeitung eingeschlagen und ist dann auf Sie übergesprungen. Das hat Ihnen vermutlich das Leben gerettet.“
„Ja“, flüsterte Richard und öffnete erst jetzt die Augen. „Der Blitz erwischte mich nur mit halber Kraft.“
„Fühlen Sie sich schuldig am Tod des Fotografen?“
„Ich weiß es nicht. Ich denke schon. Ohne mich hätte er nicht genau an jener Stelle gestanden. Außerdem kannte ich den Mann. Das war ein ziemlicher Schock.“
„Ich habe Ihr letztes Buch gelesen“, wechselte Dr. Busch überraschend das Thema. Der Reisende war ein Erfolg. Ich fand es gut recherchiert. Woher wussten Sie so viel über das Seelenleben eines Psychopathen?“
Richard brauchte ein paar Sekunden, um zu reagieren. Es war wie ein Rücksturz in eine Welt, mit der er beinahe abgeschlossen hatte. Noch immer floss etwas Geld aus den Verkäufen des Romans.
„Es kommt mir so vor, als hätten Sie für das Buch mit ähnlich veranlagten Menschen wie Ihrem fiktiven Hauptprotagonisten gesprochen“, sagte Busch.
„Ja“, erwiderte Richard einsilbig.
„Interessant.“ Dr. Busch zeigte keinerlei Anzeichen von Ungeduld.
„Glauben Sie, dass es therapeutisch sinnvoll ist über meine Arbeit zu reden?“ Richard klang ein wenig ungehalten.
„Durchaus. Schreiben Sie zurzeit an einem neuen Buch?“
Richard stöhnte. „Es funktioniert nicht. Ich habe bisher nur ein paar mehr oder weniger sinnlose Seiten geschafft.“
„Ich könnte mir trotzdem vorstellen, dass die Rückkehr zu Ihrer Arbeit ein wesentlicher Schritt zur Normalisierung Ihres Zustands ist“, erwiderte Dr. Busch.
Richard sah ihn mit einer Mischung aus Unglauben und Verärgerung an. „Wenn mein Hirn beschädigt ist, wie Sie eben annahmen, wird es durch einen neuen Krimi kaum repariert werden.“
„Ihr Hirn kann, muss aber nicht Schaden erlitten haben, Herr Kenning.“
Richard empfand es als eigenartig, mit seinem alten Namen angeredet zu werden. Er hatte lange Zeit benötigt, um sich an Gerling zu gewöhnen. Kenning stand für ein Leben, das in einem überaus bizarren Fiasko geendet hatte.
„Unter welchem Namen soll denn ein neues Buch erscheinen?“, fragte der Psychiater.
„Unter Richard Kenning. Der Verleger vertritt die Meinung, dass sich der Vorfall eher verkaufsfördernd auswirkt.“
„Da könnte er Recht haben. Aber wenn Richard Kenning ein neues Buch veröffentlicht, wird das die Neugierde auf den Autor wieder entfachen. Man wird nach Ihnen suchen.“ Dr. Busch machte eine kurze Pause. „Vielleicht hat das bei Ihnen die Schreibblockade ausgelöst.“
Richard dachte darüber nach. „Ich weiß nicht ... es ist
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