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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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Scham darüber, dass sein Nachbar ihn in einem entwürdigenden Zustand gefunden hatte und sogar entkleiden musste, hielt an.
    „Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern“, erwiderte Richard leise.
    Sein Nachbar strich seinen Kimono glatt. „Ich hörte, wie Sie die Treppe hinab stolperten. Dabei weinten Sie. Ich folgte Ihnen und sah Sie auf der Straße liegen. Halb weggetreten und stammelnd. Sie waren nicht mehr ansprechbar, da habe ich Sie in meine Wohnung getragen. Ich dachte mir, dass wäre in Ihrem Zustand das Beste.“
    „Ich hatte Halluzinationen“, sagte Richard. Ihm fiel der unheimliche Himmel mit den glühenden Augen ein.
    Münzberg nickte. „Das glaube ich gern.“
    Richard glaubte mit einem Mal zu wissen, was sein Nachbar vermutete. „Sie nehmen an, dass ich unter Drogen stand.“
    Münzberg sah ihn fragend an.
    Richard schüttelte den Kopf, unterließ die Bewegung aber sofort, weil sich der Schmerz hinter der Stirn sofort wieder aufflammte. „Ich habe wirklich keine Drogen genommen, noch nicht einmal Alkohol.“
    „Selbst wenn“, erwiderte Münzberg vorsichtig. „Für mich wäre das kein Problem. Alle Anzeichen sprachen nun mal dafür.“
    „Ich bin in psychiatrischer Behandlung“, fuhr Richard fort. „Ich leide an chronischer Schlaflosigkeit. Das kann einen verrückt machen.“
    Münzberg nickte verständnisvoll. „Aber ihr Verhalten war ziemlich extrem ... Hat man Ihnen vielleicht Medikamente verschrieben? Psychopharmaka?“
    „Nur ein homöopathisches Mittel.“
    „Sind Sie da sicher? Bei wem sind Sie in Behandlung?“
    „Bei Dr. Busch.“
    „Den kenne ich.“ Münzberg hielt sich eine fleischige Hand vor den Mund und prustete.
    „Was ist?“, fragte Richard irritiert.
    „Der Mann ist in Ordnung. Ich war vor einiger Zeit ebenfalls sein Patient.“
    Richard wagte nicht nach den Gründen zu fragen, aber das brauchte er auch nicht, denn sein Nachbar schien geradezu froh zu sein, darüber zu reden. „Ich litt unter einem zwangsneurotischem Symptom: Kontrollzwang. Ich konnte nicht das Haus verlassen, ohne mehrmals zurückzukehren, um zu überprüfen, ob der Herd abgestellt war, der Wasserhahn zugedreht oder die Wohnungstür verschlossen war. Richtig kompliziert wurde es zum Beispiel, wenn ich einen Brief abschicken musste. Immer wieder musste ich das Kuvert öffnen, um mir zu bestätigen, ob ich auch den richtigen Brief hineingesteckt hatte.“
    Richard probierte einen weiteren Löffel von der Suppe. Die Offenheit seines Nachbarn ihm gegenüber ließ ihn entspannter werden. Münzberg wurde ihm sogar trotz seines bizarren Äußeren – Richard hatte erst jetzt die winzigen goldenen Buddhaabbildungen auf dem Kimono entdeckt – immer sympathischer. „Konnte Busch Ihnen helfen?“
    Münzberg deutete mit dem Finger auf die Suppenschüssel auf Richards Schoß und dann in Richtung Zimmertür. „Da geht es zur Küche. Wenn ich nicht bei Busch in Behandlung gewesen wäre, hätte ich schon zig Mal nachsehen müssen, ob der Herd abgestellt ist.“
    „Dann vertrauen Sie Dr. Busch also?“
    „Unbedingt“, sagte Münzberg ohne nachzudenken. „Wenn er Ihnen ein homöopathisches Mittel verschreibt, wird es sich dabei auf gar keinen Fall um LSD, Crack oder so etwas handeln. Ich vermute, darauf zielte Ihre Frage?“
    „Ja“, gab Richard zu. „Es ist nur so ... er schien mir in letzter Zeit etwas fahrig.“
    Münzberg kicherte schrill. „Der Mann ist Psychiater. Wenn man den ganzen Tag mit Leuten wie mir zu tun hat, darf man auch mal etwas fahrig sein. Oder?“
    Richard stellte die leere Schüssel auf den Tisch und hielt dabei mit der linken Hand die Decke an seinen Oberkörper gepresst. „Ich wurde vor ein paar Monaten von einem Blitz getroffen. Das ist höchstwahrscheinlich der Grund für meine Schlaflosigkeit“, sagte Richard.
    Jan Münzberg legte beide Hände vors Gesicht und machte „Oha!“. Er wirkte wieder wie ein perfektes Double des Komikers Oliver Hardy. „Aber ...“, er räusperte sich. „Ihr Körper weist keinerlei Narben auf. Von den Verbrennungen, meine ich. Die wären mir aufgefallen.“
    „Es gab keine Verbrennungen. Ich wurde lediglich ohnmächtig. Allerdings kann das Gehirn Schäden davontragen, die neben Schlaflosigkeit auch Wahrnehmungsstörungen hervorrufen können.“
    Münzberg pfiff leise durch die Zähne. „Dann kann Ihr Verhalten von gestern Abend die Folge des Blitzschlags sein?“
    „Ich nehme es an. Aber einige Dinge, die ich gesehen habe, müssen real

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