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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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verursachte es selbst. Er lachte, ohne sich dessen bewusst zu sein. Kicherte und gluckste nicht nur ohne Grund, sondern losgelöst von seinem Verstand, der gerade auf rapide ansteigende Panik umgestellt hatte. Richard verpasste sich eine schallende Ohrfeige, die zwar nicht den geringsten Schmerz verursachte, aber wenigstens das alberne Gelächter abstellte. Er presste eine Hand gegen die Zimmerwand. Genau wie der Schrank schien sie unter dem Druck ein wenig nachzugeben. Richard betrachtete seine Hand. Kein Finger versank in dem hellen Putz und hinterließ dort einen Abdruck.
    Er schrie erschrocken auf und taumelte rückwärts, als es unter seiner Hand pulsierte, als sei die Wand ein von Adern und Nervenbahnen durchzogenes Lebewesen.
    Es ist soweit, jagten die Gedanken. Ich drehe komplett durch. Er versuchte sich an Buschs Rat zu halten.
    Nicht real! Das ist alles nicht real!!!
    Die Wände gerieten in gleichmäßige Bewegung. Ein rhythmisches Pumpen. Ein lebender Organismus, der ein und ausatmete. Richard spürte, wie er jegliche Kontrolle über seinen Verstand verlor. Das gebetsmühlenartig vorgetragene Nicht real! Nicht real! zeigte keine Wirkung. Er schüttelte den Kopf und das Zimmer wurde zu einem Meer aus öligen Schlieren.
    Nicht bewegen!, mahnte der letzte klare Rest seines Verstands. Er fixierte einen festen Punkt – das kleine rote Licht der Stand-by Taste seines Fernsehers – an. Kurz flackerte eine Erinnerung auf. So ähnlich hatte er sich vor ein paar Monaten auf dem Schulhof gefühlt, als sich alles um ihn herum drehte.
    Die Welt vor seinen Augen beruhigte sich und kehrte zu den gewohnten Farben und Formen zurück.
    „Was ...?“, entfuhr es ihm und er drehte sich abrupt zur Seite. Da war eine Bewegung gewesen. Fast außerhalb seines Gesichtsfelds, flüchtig und kaum wahrnehmbar.
    Jetzt wiederholte sich die Bewegung zu seiner Rechten. Jenseits der geöffneten Zimmertür. Mehr Ahnung als tatsächliche Wahrnehmung.
    Jemand – oder Etwas! – war in seiner Wohnung. Es musste sich jetzt in den dunklen Flur zurückgezogen haben. Das es sich um ein Etwas handeln konnte, war für Richard schrecklicher als zu wissen, dass sich ein Einbrecher Zugang zu seiner Wohnung verschafft haben könnte.
    Als Kind fürchtete er sich vor all den Schreckgestalten aus dem Fernsehen, den Comics und Schauerromanen, von denen er trotzdem nicht lassen konnte.
    Es gab im Haus seiner Eltern einen Ort, an dem sie lauerten. Davon war er überzeugt gewesen. Ein nur wenige Quadratmeter großer Raum hinter dem eigentlichen Keller. Der Boden bestand dort nur aus platt getretenem Lehm, der so roch, wie sich ein Achtjähriger mit ausgeprägter Fantasie den Tod vorstellte. Mit einer so niedrigen Decke, dass selbst ein kleiner Junge den Kopf einziehen musste. Nur ein paar Mal, und dann nur in Begleitung von Freunden und mit starken Taschenlampen versehen, war er hineingekrochen. Er hatte nichts gefunden außer den unverputzten Wänden und dem klebrig-feuchten Lehm, der die Kleidung beschmutzte, aber er glaubte die Anwesenheit von etwas Bösem gespürt zu haben.
    So wie jetzt! Es war, als hätte ihn das lauernde Etwas aus dem Loch hinter dem Keller seiner Eltern wiedergefunden. Er hatte als Kind keine genaue Vorstellung von dem Etwas gehabt. Es war die Inkarnation allen Schreckens, den er bisher kennen gelernt hatte. Eine unvorstellbare Kreatur. Und sie war nur darauf aus, ihn in der Dunkelheit zu zerfleischen und zu zerfetzen.
    Wenn er damals in seiner Kindheit den Kelleraum mit dem Loch in der hinteren Wand betrat, hatte er die schwere Eisentür nur so weit geöffnet, dass er den Arm hindurch stecken konnte, um nach dem Lichtschalter zu tasten. Die Sekunde, bis sich die Neonröhre unter der Decke einschaltete, war jedes Mal furchtbar. Licht hielt die Kreatur im Zaum, aber wenn man den Arm ins Dunkel streckte, lief man Gefahr ihn zu verlieren.
    Im Laufe der Zeit brauchte die Röhre unter der Kellerdecke immer länger, um den Raum in weiß-blaues Licht zu tauchen. Manchmal glühte sie mindestens eine Minute in giftigen Farbtönen, bis sie sich klickend einschaltete.
    Richard schob seinen Oberkörper zur Hälfte in den Flur und noch während er den Lichtschalter suchte, erlosch hinter ihm im Wohnzimmer die Lampe. Er drehte sich abrupt in der plötzlichen Finsternis um und stieß mit dem Kopf gegen den Türrahmen. Richard verspürte genau wie bei der Ohrfeige, die er sich eben verpasst hatte, keinen Schmerz. Nur ein Dröhnen, als befinde er

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