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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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erkannt, dass sie für die Prozedur nicht wie Richard umständlich unter den Motor kriechen musste.
    Er verfolgte jede ihrer Bewegungen und fühlte sich dabei wie ein pubertierender Schuljunge.
    Als sie weggefahren war, presste er sein Gesicht gegen das kühle Glas der Scheibe. Hinter der Stirn pochte der Schmerz im Rhythmus seines Herzschlags und wurde von Minute zu Minute schlimmer.
    Als er sich vom Fenster abwandte und mit unsicheren Schritten durchs Zimmer stakste, stellte er fest, dass seine Umgebung blaustichig geworden war. Er rieb sich die Augen, aber das Blau auf den Wänden, dem Boden und der Zimmereinrichtung verschwand nicht. Er blickte auf seine Hände und hatte Angst davor, wieder das pulsierende Adergeflecht unter der Haut sehen zu müssen, aber seine Hände waren lediglich blaustichig und machten den Eindruck, als befände sich die Haut in einem äußerst kränklichen Zustand.
    Allein der Gedanke, dass dies möglicherweise erst der Beginn eines neuerlichen Deliriums, des Abdriftens in einen Zustand, wie er ihn erst vor zwei Tagen erlebt hatte, versetzte ihn in Panik. Er wollte Dr. Busch anrufen, aber dann fiel ihm ein, dass das Telefon nicht mehr funktionierte. Es bei den Nachbarn zu versuchen, kam für ihn nicht in Frage. Er wusste nicht, ob oder wie lange er noch die Kontrolle über sich behielt. Auf gar keinen Fall wollte er bei Sandows im Parterre oder bei den jungen Eltern mit dem Baby plötzlich winselnd auf dem Boden liegen. Und Münzberg wollte er so lange wie möglich aus dem Weg gehen. Der Brief an den alten Krüger machte ihm deutlich, dass Münzberg nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.
    Die Welt blieb blaustichig, aber mehr schien nicht zu geschehen. Abgesehen von den anhaltenden Kopfschmerzen und einer leichten Benommenheit, die das Denken zusehends komplizierter gestaltete.
    Richard ging in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen.
    Auf der Türschwelle blieb er stehen und blinzelte verwundert jenes undefinierbare Etwas an, das dort vor ihm auf dem Küchentisch zwischen Zuckerdose und schmutziger Kaffeetasse lag. Er machte ein Schritt nach vorn, um besser sehen zu können. Alles, wie durch einen Farbfilter zu betrachten, machte es seinen immer schwächer werdenden Augen erst aus der Nähe möglich, das grau-schmutzige Bündel, als das zu erkennen, was es war.
    Zwei fette, schillernde Fliegen hatten sich darauf niedergelassen. Jetzt nahm er auch den süßlich-fauligen Geruch wahr.
    Der Körper sah ganz klein aus, das Fell verdreckt und verfiltzt. Obwohl der Kopf fehlte, wusste Richard sofort, dass er den Kadaver einer Katze vor sich hatte.
    Nein! Eines Katers! Das ist Pauli!
    Die Verwesung war bereits fortgeschritten und er wagte es sich gar nicht auszumalen, was sich bereits unter dem Fell, in der Wunde und den Körperöffnungen tummelte.
    Vor Ekel und Erstaunen hatte sich sein zäh arbeitender Verstand noch gar nicht gefragt, wie der Kater auf seinen Küchentisch gelangt war. Die Frage explodierte förmlich in seinem Kopf. Er drehte sich im Kreis, warf den Wänden des Zimmers angstvolle Blicke zu und verlor für Sekunden die Fassung. Er wimmerte, spürte ein Kitzeln auf seinem linken Unterarm und sah eine weitere Fliege, die flink über seine Haut krabbelte. Er schlug nach ihr, aber sie war viel zu schnell für ihn. Mit wütendem Summen steuerte sie den Kadaver an.
    Das Küchenfenster war wie alle anderen Fenster in der Wohnung verschlossen. Draußen wehte ein kalter Wind und für den Tagesverlauf waren weitere Regenfälle angesagt. Außerdem, sagte sich Richard, ein kopfloser Kater konnte auch nicht durch ein geöffnetes Fenster in den ersten Stock gelangen.
    Das alles war verrückt!
    Er hetzte zur Tür und fand sie verriegelt vor. Ohne es bemerkt zu haben, hatte er nach Marias Besuch sogar die Sicherheitskette vorgelegt. Er öffnete die Tür und trat in den Flur. Er hatte den Finger bereits auf Münzbergs Klingelknopf gelegt, als er zögerte.
    Was würde sein Nachbar denken, wenn er den Körper des Katers auf dem Küchentisch sah? Geriet er nicht selbst in Verdacht, das Tier getötet zu haben? Hatte er seinem Nachbarn nicht sogar von dem Blitzschlag und den Wahrnehmungsstörungen erzählt, nachdem der ihn zuvor dreiviertelverrückt von der Straße geholt hatte?
    Richard kam es in den Sinn, dass es Münzberg gewesen war, der ihm den Kater in die Küche gelegt hatte.
    Nein!
    Er schüttelte energisch den Kopf.
    Die Tür war mit der Kette gesichert gewesen.
    Richard nahm den

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