Zwienacht (German Edition)
aber an den Ellbogen abgewetzt war und ein paar Flecken aufwies.
„Sie wünschen?“, fragte die Frau und versuchte mit der rechten Hand ihre schütteren Haare zu ordnen.
„Mein Name ist Richard Gerling. Ich würde gern mit Dr. Busch sprechen.“
Die alte Frau wandte kurz den Kopf ab. Richard folgte ihrem Blick und stellte fest, dass sie die Uhrzeit von einer großen Standuhr ablas, deren goldenes Pendel ganz langsam hin und her schwang.
„Meinen Sohn können Sie in seiner Praxis antreffen.“
„Da komme ich gerade her. Die Praxis ist geschlossen.“
Die Frau schüttelte energisch den Kopf. „Das kann nicht sein.“ Sie durchbohrte ihn mit ihrem Blick. „Sind Sie ein Patient?“
„Ja. Es ist wirklich wichtig, dass ich mit Dr. Busch spreche.“ Er merkte, wie er nervös mit einem Bein wippte.
Auf dem runden, etwas aufgedunsenen Gesicht – Richard konnte sich die Frau sehr gut mit einem randvollen Glas Alkohol vorstellen – erschien ein blasierter Ausdruck, der zeigte, dass sie das Gespräch für beendet hielt.
„Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wo sich Ihr Sohn aufhalten könnte?“ Er versuchte ruhig und gefasst zu klingen.
„Nein.“
„Ihr Sohn besitzt doch sicher ein Handy?“
Leise summend ruckte der Rollstuhl nach vorn und stoppte unmittelbar vor Richard. „Davon weiß ich nichts. Suchen Sie meinen Sohn während der regulären Behandlungszeiten in seiner Praxis auf.“ Sie deutete an ihm vorbei in Richtung Straße. „Auf Wiedersehen!“.
„Würden Sie ihm bitte ausrichten, dass er mich anrufen soll, wenn er zurückkommt?“ Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass sein Telefon nicht mehr funktionierte. Er traute sich nicht, die Frau nach einem Notizzettel zu fragen und kritzelte seine Mail-Adresse auf die Rückseite eines Kassenbelegs über Gummibärchen. Er reichte den Beleg an die alte Frau weiter. „Mein Telefon ist zurzeit gestört. Er soll mir bitte eine Mail schicken.“ Die Frau sah kurz mit hochgezogenen Brauen auf die Notiz und Richard fühlte, dass sie ihn für einen kompletten Idioten hielt.
Er verabschiedete sich und sie schloss grußlos die Tür hinter ihm.
Es war früher Nachmittag. Die Sonne lugte zwischen den Wolken hindurch und tauchte die regennasse Stadt in ein so blendendes Licht, dass Richard kurz die Augen schließen musste, um sich an die plötzliche Helligkeit nach dem Halbdunkel in dem Haus gewöhnen zu können.
Einer der schweren Vorhänge bewegte sich und er sah, das von einer ungesunden Röte überzogene Gesicht der alten Frau hinter der Glasscheibe auftauchen. Richard konnte erkennen, dass sie ein Glas an ihre Lippen führte.
Er beeilte sich, das Grundstück zu verlassen und fragte sich verzweifelt, wo der Psychiater stecken konnte.
Kiwi-Maracuja
Der BMW raste mit 200 km/h in südlicher Richtung an Plauen vorbei. Es hatte wieder zu nieseln angefangen, aber er trat das Gaspedal noch weiter durch. Die Tachonadel schnellte nach rechts. Er scheuchte einen Audi von der linken Fahrspur und hielt das Lenkrad fest umklammert.
Auf einem Rastplatz hatte er zwei volle Plastiktüten in einem Abfalleimer deponiert. Sie enthielten all jene Dinge, die Billy so geliebt hatte: seine Latexkleidung, eine kleine Sammlung Peitschen, Vibratoren und diverse Filme. Zuhause sollte nichts mehr an Billy erinnern. Billy war gelöscht worden.
Den abgeschnittenen Finger des falschen Spaniers hatte er im Garten vergraben.
Das Handy klingelte. Zum wiederholten Mal auf der Fahrt. Er verringerte die Geschwindigkeit und wechselte auf die rechte Spur. Auf dem Display leuchtete die Nummer seiner Mutter auf. Er nahm den Anruf nicht an. Tränen schossen ihm in die Augen und verschleierten die Sicht nach vorn.
Der BMW überfuhr den Randstreifen und näherte sich der Leitplanke. Von irgendwoher dröhnte ein Signalhorn. Er riss das Lenkrad im letzten Moment nach links. Der Wagen geriet ins Schlingern und im Rückspiegel blinkten die Scheinwerfer eines Lastwagens auf. Er war ein geübter Fahrer und bekam den BMW wieder unter Kontrolle.
Ein Blick in den Innenspiegel zeigte ihm, dass der Lkw zurückfiel. Gleichzeitig sah er in sein blasses Gesicht mit den verstörten Augen. Die Angst nagte wie mit scharfen Zähnen an seinem Verstand.
Das Handy klingelte erneut.
Nummer unbekannt.
Er wollte sich dem Anrufer stellen.
„Wo bist du?“, bellte die Stimme. „Deine Praxis ist zu. Das war nicht vereinbart.“
„Ich mache nicht mehr mit!“
Der Anrufer schwieg eine Sekunde lang. Der
Weitere Kostenlose Bücher