Zwienacht (German Edition)
über den Bordstein. Bereit allen Ratten den Garaus zu bereiten.
Für Pauli. Und für seinen Nachbarn.
Er sah zu Krügers Wohnung empor und erhaschte einen kurzen Blick auf den Waffensammler, ehe der eilig vom Fenster zurücktrat. Münzberg unterdrückte den Drang, dem Rentner mit der geballten Faust zu drohen.
Vor der Ruine hielt er kurz inne.
Das Gebäude besaß die gleiche Höhe wie das Haus, in dem er wohnte. Einige der Fenster im ersten und zweiten Stock waren eingeschlagen, die unteren mitsamt der Eingangstür mit Brettern vernagelt. Die Kellerfenster – eckige Löcher, die ins Dunkel führten – waren viel zu klein, um ihm Einlass zu gewähren.
Jan Münzberg ging zu dem Bauzaun, der die alte Fabrik, die direkt an das Haus gebaut worden war, von der Straße trennte. Es war eine Leichtigkeit, den Zaun auf seinen Betonsockeln so weit zu verschieben, dass er sich hindurchzwängen konnte.
Vielleicht gab es eine Möglichkeit, von der leerstehenden Fabrik in das alte Haus zu gelangen. Auf jeden Fall wollte er die Köder auch in der Fabrik auslegen, denn wenn es so etwas wie ein Paradies für Ratten gab, dann kam dieses Gelände dem bestimmt sehr nahe.
Jan Münzberg wich den Scherben zerschlagener Bierflaschen aus, die überall auf dem mit Unkraut überwucherten Boden herumlagen. Er trat vor einen durchsichtigen Kunststoffsack, dessen Inhalt aus einer halbfesten und grauen Masse bestand. Die Beschriftung war zum Teil unleserlich, aber Jan Münzberg konnte entziffern, dass es sich um Natriumhydroxid handelte, das noch aus Zeiten der DDR stammte. Ein paar Meter ergoss ein weiterer Sack seinen unappetitlichen Inhalt auf den Untergrund. Vermutlich war er von spielenden Kindern gewaltsam geöffnet worden. In seiner unmittelbaren Nähe waren die sonst so wild wuchernden Pflanzen eingegangen und hatten sich in braune und tote Stauden verwandelt. Neben dem eigentlichen Fabrikgebäude, einem zweistöckigen Betonklotz, stand ein flacher Bau. Die Tür hing schief in den Angeln und Münzberg warf einen Blick hinein.
Ein Teil der Decke war eingebrochen. Geborstene Balken und Zwischenstreben bildeten ein faulendes Durcheinander. An der Wand stand ein leeres Regal. Das Holz war von der eindringenden Feuchtigkeit aufgequollen. In einer Ecke lagen zertrümmerte Rollschränke, Stühle mit zerknickten Beinen aus Leichtmetall und verrottete Aktenordner. Die Wände waren mit riesigen Schimmelflecken überzogen, die ihnen aus einiger Entfernung das Aussehen verwitterter Landkarten gaben.
Der Gestank war grauenhaft. Der faulige Geruch von Holz und Papier mischte sich mit dem der vermodernden Textilien – Arbeitshosen, Jacken und Schuhe. Jan Münzberg glaubte auch Verwesung und Exkremente riechen zu können. Er hatte nicht erwartet, dass es so schlimm werden würde. Dabei hatte er gerade erst mal in einen Bau hineingeschaut, der durch die offene Tür und die kaputten Fenster relativ gut belüftet wurde.
Er umklammerte den Plastikbeutel mit den Giftködern fester und wandte sich der eigentlichen Fabrik zu.
Er konnte sich daran erinnern, dass hier früher mit Metall gearbeitet wurde. Zu seiner Linken gab es eine ölig schwarz schimmernde Rampe, die zu einem mit Kette und Vorhängeschloss gesicherten Tor führte. Er versuchte erst gar nicht, die Rampe zu erklimmen.
Weiter rechts führten ausgetretene Treppenstufen in einen Keller. Jan Münzberg zögerte angesichts der Dunkelheit jenseits der Türschwelle. Obwohl es gerade erst Mittag war, ließ sich die Sonne nicht sehen. Der Tag war in ein diesiges Grau getaucht, das überall auf dem Gelände halbdunkle Zonen entstehen ließ. Und dort unten, erkannte Münzberg, war es so finster wie in einem nächtlichen Wald bei Neumond.
Er überlegte, ob es nicht besser wäre, im überirdischen Bereich der Fabrik mit dem Auslegen der Giftköder zu beginnen, aber dann fiel ihm ein, dass der Kammerjäger vielleicht genau wie er bei dem Abstieg in den Keller gezögert haben konnte. Bestimmt hatte er den Keller ganz ausgelassen, und das war der Grund, warum die Biester noch immer nicht krepiert waren.
Münzberg holte die neue Taschenlampe aus der Tüte hervor und schaltete sie ein.
Der Keller muss zuerst angegangen werden, sagte er sich. Die Keller sind das Wichtigste. Der hier in der Fabrik und vor allem der in dem alten Haus. Schnell hinein und Gift auslegen. Später würde er dann bei Richard Gerling anschellen und ihm von seinem mutigen Vorgehen berichten.
Vorsichtig stieg er in die Tiefe
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