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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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in der schlimmsten Phase seines bisherigen Lebens beistand. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass sie ihn einfach zurückwies. Vielleicht verwechselte er Freundlichkeit mit Zuneigung.
    Maria sah auf ihre Armbanduhr. „Ich muss jetzt los“, sagte sie und deutete mit einer Bewegung ihres Kopfes auf die Treppe zum zweiten Stockwerk.
    Richard suchte nach irgendetwas, das er noch zu ihr sagen konnte. Etwas, das Maria klar machte, wie sehr er an ihr interessiert war. Aber ihm fiel nichts ein.
    Maria streckte die Hand nach ihm aus, berührte ihn sanft am Arm und sagte: „Bis später.“
    Sie duftete ein wenig nach Vanille. Die Mädchen in seiner Jugend hatten manchmal Vanilleparfüm benutzt. Er atmete das Aroma in sich ein und sah ihr nach, wie sie mit wehendem Kittel die Stufen empor eilte.
    Ruckartig wandte er sich um.
    Da war wieder dieses Gefühl, beobachtet zu werden. Verbunden mit einer raschen Bewegung am äußersten Rand des Sichtfelds. Dieses Mal in seiner eigenen Wohnung.
    Richard musste sofort an die Ratten denken, schloss die Tür und lief ins Wohnzimmer, um sich mit Krügers Stilett zu bewaffnen.

Die alte Fabrik

    Jan Münzberg stand hinter seiner Tür und hatte das Gespräch zwischen Richard und Maria belauscht. Er spürte, dass sich zwischen den beiden etwas anbahnte. Schon als Jugendlicher war er in der Lage gewesen, anhand von Betonung, Mimik, der Art sich beim Gespräch zu bewegen, festzustellen, in welchem gefühlsmäßigen Verhältnis die Gesprächspartner zueinanderstanden. Er nahm Zuneigung, sexuelle Erregung ebenso wahr wie Hass, Ekel oder Gleichgültigkeit. Er wusste, dass eigentlich jeder halbwegs sensible Mensch dazu fähig war, wenn er nur seine geistigen Antennen auf den anderen ausrichtete.
    Zumeist empfand Jan Münzberg diese Gabe für sich selbst als Belastung, stieß er doch bei den meisten auf Abneigung, bestenfalls Gleichgültigkeit.
    Bei Richard Gerling war es jedoch anders gewesen. Zwar hatte der wie alle zunächst mit einer gewissen Ablehnung auf die enorme Korpulenz seines Nachbarn regiert – er weiß, dass man ihm ausweicht, um jeden Körperkontakt zu vermeiden –, aber dann erwies sich Gerling als einfühlsam und sensibel.
    Jan Münzberg mochte ihn und suchte seine Nähe. Vor allem sein Verhalten, als er ihn von einer Dummheit gegenüber dem alten Krüger abgehalten hatte, war im Nachhinein bewundernswert gewesen. Aber dann war Krüger mit diesem Brief aufgetaucht und hatte die ersten Bande einer Freundschaft mit Gerling rigoros durchtrennt. Münzberg dachte die ganze Zeit darüber nach, wie er das Vertrauen seines Nachbarn zurückgewinnen konnte.
    Die Ratten!
    Jan Münzberg erinnerte sich an die gemeinsame Suche nach der Ratte in Gerlings Wohnung.
    Ein Nervenkitzel, der ihn ein wenig in seine Kindheit zurückversetzt hatte, als er mit Freunden die Wäldchen und Felder um Döbeln erkundete. Auf der Jagd nach Abenteuern und zumeist ausgedachten Gefahren, die im Halbdunkel jenseits einer Lichtung oder einer Ruine lauern sollten. Damals war er noch nicht fettleibig gewesen und hatte die schönste Zeit seines Lebens verbracht. In einer Vertrautheit mit Freunden, an die er sich oft voller Wehmut zurückerinnerte.
    Er schob seine alte Simson auf die Straße und fuhr mit dem über zwanzig Jahre alten Kleinkraftrad zum Baumarkt in der Grimmaischen Straße. Er versuchte die bisweilen unverhohlenen Reaktionen der Passanten – Tuscheln, Gekicher und offene Münder – zu ignorieren, wusste er doch, welch bizarren Anblick er auf seinem Gefährt, das beinahe unter seiner Masse verschwand, bot.
    Im Baumarkt ließ er sich von einem jungen Mann drei Packungen Rattengift aushändigen. Zur Vorsicht kaufte er noch eine Taschenlampe.
    Auf der Rückfahrt musste er einmal die Zündkerze herausschrauben und mit einer Drahtbürste reinigen. Ein Vorgang, der bei nahezu jeder Tour zur Routine gehörte.
    Er machte sich nicht die Mühe, die Simson in den Flur zu schieben.
    Er bezweifelte immer noch, dass es nicht der alte Krüger gewesen war, der seinen Kater auf dem Gewissen hatte, aber mittlerweile zog er zumindest in Erwägung, dass auch die Ratten für den feigen Mord in Frage kamen.
    Er wollte für Pauli Rache nehmen. Außerdem stellten die Ratten auf jeden Fall für seinen Nachbarn Richard Gerling eine reale Bedrohung dar, die ihn zusehends in Furcht versetzte.
    Der Kammerjäger musste gescheitert sein. Jan Münzberg würde dessen Arbeit machen.
    Mit weit ausholenden Schritten marschierte er

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