Zwienacht (German Edition)
kurzen Piepton von sich. Die Anzeige im Display zeigte, dass die Akkus fast leer waren. Er stellte das Telefon auf die Ladestation.
Er unterdrückte mühsam den Drang, bei Busch anzurufen. Es war mitten in der Nacht.
Gleich morgen früh!
Er legte sich aufs Sofa, glaubte hellwach zu sein und fiel nach einigen Minuten in einen nervösen Schlaf.
Maria Couto dos Santos war seit einigen Minuten bei Bewusstsein. Ihr Schädel schmerzte und sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Die Geräusche um sie herum machten ihr klar, dass sie sich in einem fahrenden Auto befand.
Es roch streng nach Nikotin.
Maria öffnete die Augen und brauchte einen Moment, um sich im Halbdunkel orientieren zu können. Sie lag auf der Rücksitzbank eines ziemlich großen Wagens. Beine und Hände waren so eng gefesselt, dass sie ihre Gliedmaßen nicht mehr fühlen konnte. Sie war noch immer vollständig bekleidet. Der Mann, dessen Umrisse sie im Schein der Instrumentenbeleuchtung sehen konnte, hatte sie offenbar nicht missbraucht.
Aber er brachte sie an einen fremden Ort. Vermutlich dorthin, wo er mit ihr alles anstellen konnte, ohne befürchten zu müssen, dass Nachbarn etwas davon mitbekamen.
Sie zuckte zusammen, als der Mann hinter dem Lenkrad zu ihr sprach.
„Wenn du auch nur einen Laut von dir gibst, halte ich an und schneide dich. Ist das klar, Kleine?“
Ihr Mund war völlig ausgetrocknet. Als sie versuchte zu sprechen, verletzte sie sich die Zunge an dem abgebrochenen Zahn.
„Ja“, ächzte sie nur.
Wenige Minuten später holperte der Wagen über unebenen Straßenbelag, verringerte die Geschwindigkeit und hielt an.
Der Motor lief im Leerlauf.
Der Mann beugte sich über die Sitzlehne nach hinten. Er hielt einen Lappen in der Hand, von dem ein erstickender, chemischer Geruch ausging. Sie versuchte auszuweichen, wand sich in ihren Fesseln auf der Rücksitzbank und presste ihr Gesicht in die muffigen Polster. Der Mann riss ihren Kopf an den Haaren hoch und drückte ihr den Lappen so fest auf den Mund, dass die Lippe erneut aufplatzte. Ihre Gegenwehr wurde schwächer, während das Innere des Wagens und die Umrisse des Mannes mit dem rotglühenden Zigarillo im Mundwinkel zu verschwimmen begann und alles schwarz wurde.
Das letzte, was sie hören konnte, war das zufriedene Grunzen ihres Entführers.
Normales Ableben
Richard erwachte und wusste nicht, wann er sich in den letzten Wochen auch nur annähernd so gut gefühlt hatte. Die Kopfschmerzen waren zwar noch immer allgegenwärtig – ein kleiner Hammer, der von innen gegen die Stirn schlug – aber nichts im Vergleich zu dem intensiven Pochen an anderen Tagen.
Richard setzte seine Brille auf und blickte sich um. Die Sicht war klar. Er bildete sich sogar ein, etwas schärfer als sonst sehen zu können.
Das Telefon!
Er wählte die Nummer von Buschs Praxis.
Der Anrufbeantworter.
Richard sprach eine dringende Bitte um Rückruf aufs Band.
Er hatte sich in der Post Buschs private Telefonnummer und die seiner Mutter notiert. Er fingerte den Geldschein aus dem Portemonnaie.
Busch nahm den Hörer nicht ab, und als Richard es nach kurzem Zögern auch bei Charlotte Busch probierte, hatte er ebenfalls keinen Erfolg.
Richard stellte sich um kurz vor neun ans Schlafzimmerfenster und wartete auf den roten Fiat. Er wollte unbedingt Maria begrüßen, ehe er zu Dr. Busch fuhr. Der Psychiater hatte keine Mail geschickt. Richard vermutete, dass die Mutter ihm gar nichts von seinem Besuch erzählt hatte. Aber irgendwann musste er doch in seiner Praxis erscheinen.
Der Panda hielt vor dem Haus und Richard erkannte an der gesplitterten und jetzt notdürftig mit schwarzem Isolierband zusammengehaltenen Stoßstange, dass es das andere Fahrzeug des Pflegedienstes war. Vielleicht hatte Marias Wagen nun doch endgültig den Geist aufgegeben.
Er war erstaunt und enttäuscht zugleich, als er beobachtete, wie ihre stämmige Kollegin ausstieg.
Naumann, fiel ihm ihr Name sofort wieder ein.
Er rang mit sich, ob er die Frau auf Marias Verbleib ansprechen sollte und hatte sich bereits dagegen entschieden – Vielleicht hatten die beiden nur für heute die Tour verändert – als es an seiner Wohnungstür schellte.
Der weiße Kittel der Frau war ihr ein paar Nummern zu klein. Der Stoff spannte sich über dem Brustkorb und Richard befürchtete, dass ihm zumindest der oberste Knopf gleich ins Gesicht springen würde. Der Gesichtsausdruck der Frau schien auf den ersten Blick neutral, aber
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