Zwienacht (German Edition)
der BMW unter das Heck des Marmeladentransporters.
Busch hatte noch nicht einmal Zeit, Todesangst zu empfinden, ehe er zur Unkenntlichkeit in den metallenen Eingeweiden seines Fahrzeugs zermalmt wurde.
Ein Tropfen Blut
Maria Couto dos Santos war ein wenig erstaunt gewesen, als sie ihren Wohnungsschlüssel nur mit Nachdruck ins Türschloss stecken konnte. Vermutlich muss es mal geölt werden, dachte sie und beschloss beim nächsten Einkauf eines von diesen kleinen Plastikfläschchen mit Haushaltsöl mitzubringen.
Maria versuchte wenn möglich, rechtzeitig zu den 20 Uhr-Nachrichten in ihrem kleinen Apartment zu sein. Sie setzte sich dann mit etwas Obst oder einem Joghurt vor den Fernseher, betrachtete das zumeist beunruhigende Weltgeschehen und hatte das Gefühl, dass ihr nach dem langen Arbeitstag mit einem viel zu vollen Terminplan wenigstens noch der Abend zum eigentlichen Leben blieb.
Der Job war nicht leicht, vor allem, wenn man versuchte, für die alten Menschen mehr als jemand zu sein, der routinemäßig Medikamente bringt, einen Verband wechselt oder das Bett bezieht. Für viele war sie der einzige Kontakt zur Außenwelt und es fiel ihr nicht leicht, die neugierigen Fragen und das Gespräch einfach abzubrechen, weil die Zeit drängte. Außerdem musste sie sich eingestehen, dass es Pflegebedürftige gab, die ihr die Arbeit schwer machten. Altersstarrsinn, Vereinsamung und das Wissen, dass sich das eigene Leben nur noch auf Monate oder ein paar Wochen beschränken kann, lässt Menschen die normalen Umgangsformen vernachlässigen.
Heute Morgen hatte der achtundachtzigjährige Herr Niemeier seine Kaffeetasse nach ihr geworfen. Niemeier hatte man vor zehn Jahren das linke Bein, vier Jahre später das rechte Bein amputiert. Das Rauchen war daran schuld gewesen und jetzt lutschte er nur noch zuckersüße Drops. Die Bewegungsunfähigkeit hatte ihn verbittern lassen. Häufig saß er am offenen Fenster und spie allen, die noch zwei Beine hatten, unflätige Bemerkungen entgegen.
Maria schaltete nach dem Wetterbericht den Fernseher ab, zog die weißen Turnschuhe aus und legte sich auf die Couch in ihrem kleinen Wohnzimmer.
Sie dachte an das Ehepaar Weiser. Sie waren ihre letzten Kunden für heute gewesen, hatten wie Niemeier längst die Achtzig überschritten, litten unter schlimmem Rheuma und ihren künstlichen Hüftgelenken, waren aber noch immer ein Liebespaar, das sich rührend umeinander bemühte. Die beiden waren immer eine Oase der Ruhe in Marias Arbeitsalltag.
Sie schloss die Augen. Nur für einen Moment.
Die Schlafzimmertür öffnete sich mit einem leisen Geräusch, das beinahe wie ein Wispern klang.
Maria schlug die Augen auf.
Der große grauhaarige Mann war mit zwei Schritten bei ihr. Er musste schon die ganze Zeit im Schlafzimmer gewesen sein. Sein braun gebranntes Gesicht war völlig ausdruckslos. Wie das einer Schaufensterpuppe. Nur die intensiv grünen Augen schienen sie zu durchbohren. Jetzt wusste sie, warum das Türschloss geklemmt hatte. Der Eindringling hatte sich auch ohne Schlüssel Zugang verschafft.
Maria sah, dass der Mann hautenge Lederhandschuhe trug.
Sie war schnell und trainiert. Zweimal in der Woche ging sie am Abend in ein Fitnesscenter. Maria sprang auf und die zupackenden Hände des Fremden verfehlten sie um Zentimeter. Sie rannte in den winzigen Flur zur Haustür. Der flauschige Teppichboden endete an der Schwelle zum Flur. Maria spürte, wie ihr rechter Fuß auf den glatten Fliesen wegrutschte – Wie oft hatte sie den kalten Boden dort schon verflucht! – und sie die Balance verlor. Ihre rechte Hüfte prallte schmerzhaft gegen den Schuhschrank und er packte sie an der Schulter, riss sie herum und für eine Sekunde starrte sie zu den hellgrünen Augen empor, die ihr das Gefühl gaben von einem Reptil gemustert zu werden.
Sie öffnete den Mund, um zu schreien. Der Fremde schlug ihr mit der geballten Faust ins Gesicht. Ihr Kopf wirbelte nach hinten. Einer ihrer Schneidezähne brach ab und die Unterlippe platzte auf. Maria sackte zusammen, fast bewusstlos.
Er zog sie an den Haaren hoch und sie hing federleicht in seinem Griff. Sie stöhnte und begann zu sich zu kommen. Der Grauhaarige zerrte Maria ins Wohnzimmer. Er ließ ihr Haar los und deutete auf die Couch. „Setz dich, Kleine.“
Sie blickte zu ihm auf, noch immer nicht ganz klar, und begann zu zittern. Ihr Mund war rot verschmiert, als hätte sie versucht, mit geschlossenen Augen Lippenstift aufzutragen.
Der Mann
Weitere Kostenlose Bücher