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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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dachte sie. Aber jetzt hat Liebe keine Bedeutung mehr. Nur noch das Überleben zählt.
    Der Mann trat den Zigarillo auf dem Boden aus.
    Maria schloss die Augen und wollte an die schönen Tage in ihrem Leben denken. Sich einfach nur weit, weit weg träumen.
    „Vielleicht sollte ich ihm ein Stück von seiner Liebsten mitbringen“ riss er sie in die Realität zurück. „Was mag er wohl am liebsten an dir?“
    Maria zuckte und erneut spürte sie eine Nagelspitze in ihrer Wange.
    „Die Augen“, beschloss der Fremde mit heiterer Gelassenheit.

    Richard spürte keinen Boden unter den Füßen und fiel. Die Taschenlampe entglitt seinen Fingern, wirbelte durch die Luft und zauberte für eine Sekunde hektische Blitze aus Licht an die Wände.
    Richard streckte reflexartig die Arme aus. Sein Sturz wurdeebenso abrupt wie schmerzhaft gestoppt, als seine Hände nach den Rändern der Öffnung griffen.
    Er steckte fast bis zum Kinn in einem Loch, das groß genug war, um Durchlass für einen Erwachsenen zu bieten, der es durch den Hohlraum bis hierher geschafft hatte.
    Richards Beine zappelten in der Luft, traten gegen die vordere Wand, ohne Halt zu finden, dann gegen die hintere.
    Eine Sprosse.
    Richard stellte sich mit beiden Beinen auf die Sprosse und stemmte sich mit den Ellbogen aus dem Loch, bis er wieder schwer atmend im Gang lag.
    Er tastete nach der Lampe, schob sich halb auf der Seite, halb auf dem Bauch liegend auf die Öffnung zu und leuchtete hinein. Das Loch nahm die ganze Breite des Ganges ein. Schmale Sprossen aus Metall waren in die Wand eingelassen worden und führten in die Tiefe. Einige Meter unter ihm war ein zweiter Durchlass auf der Höhe der Wohnung im Parterre.
    Dort wohnte das Rentnerehepaar Sandow. Frau Ahrens hatte in ihrem Brief geschrieben, dass der Fluchtweg im Erdgeschoss zugemauert worden war.
    Die Sprossen endeten im Keller. Richard leuchtete in die Höhe. Über ihm gab es einen weiteren Durchgang. Von dort konnte man in die Wohnung der Verstorbenen gelangen.
    Richard fragte sich, ob Ratten die rostigen Sprossen empor klettern konnten. Er hatte eine Dokumentation über diese Tiere gesehen, in denen sie ihre außerordentliche Intelligenz und Geschicklichkeit unter Beweis gestellt hatten und kam zu dem Entschluss, es durchaus für möglich zu halten.
    Aber warum scheinen sich die Biester nur für mich zu interessieren?
    Er beleuchtete noch einmal die tiefen Furchen auf der Rückseite seiner Wohnzimmerwand und sah dann in die dunkle Tiefe des Schachts, der bis in den Keller führte.
    Sie werden dort unten stecken!
    Eigentlich, so sagte er sich, hatte er genug gesehen. Er empfand diesen Geheimgang direkt hinter Wohnzimmer und Küche als sehr, sehr beunruhigend.
    Nein, er würde nicht in den Schacht steigen. Es war wohl besser, sich nach einer neuen Wohnung umzusehen. Vielleicht würden dort auch die Wahnvorstellungen verschwinden. Niemand konnte auf Dauer bei klarem Verstand bleiben, wenn riesige Ratten damit beschäftigt waren, sich durch die Wand zu graben.
    Er leuchtete noch einmal den Gang entlang.
    „Die Viecher müssen doch verdammt noch mal scheißen“, sagte er laut.
    Dann entdeckte er etwas, dass er vorhin übersehen haben musste: ein Fingernagel großes Etwas.
    Nur mit Mühe gelang es ihm, sich in dem engen Gang danach zu bücken. Er hob es auf Augenhöhe und betrachtete es im immer schwächer werdenden Licht der Taschenlampe.
    Es war der Rest eines Zigarillos. Keine zwei Zentimeter lang und wie Richard feststellte, als er ihn zwischen Daumen und Zeigefinger quetschte, noch nicht völlig vertrocknet. Hätte der Tabak schon seit Ewigkeiten hier gelegen, wäre er wie Staub zu Boden gerieselt.
    Richard dachte nach. Das Gefühl, beobachtet zu werden, der seltsame Anruf und als Höhepunkt des Ganzen: der Kater auf dem Küchentisch. War es möglich, dass noch jemand von dem geheimen Fluchtweg wusste? Und das sich dieser jemand Zugang zu seiner Wohnung verschaffte?
    Die Vorstellung war so abstrus, dass Richard sich fragte, ob sein Verstand nicht schon so verwirrt war, dass er sich in einer Art Tagtraum befand. Aber ist ein geistig Verwirrter noch dazu in der Lage, sich diese Frage zu stellen? Kann ein Schlafender erkennen, dass er träumt?
    Richard roch an dem Zigarillostummel. Er besaß noch immer den scharfen, würzigen Geruch von starkem Tabak. Und dieser Geruch war von Bedeutung. Richard versuchte sich zu konzentrieren und dann war die Erinnerung wieder da. Er sah vor seinem inneren Auge das

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